Erste Daten aus der Hamburger Clubkultur
Wie viel Co2 verbraucht eine Autofahrt vom Schlump auf den Kiez im Vergleich zur U3? Wie hoch waren die Anreise-Emissionen aller Teilnehmenden beim Clubaward? Und wie lange müsste eine Buche eigentlich wachsen, um diese Emissionen wieder zu kompensieren? Ein Beitrag über Emissionen der Besucher:innenmobilität im Kulturbereich.
Ist das Thema Co2-Bilanz noch gänzlich neu, empfehlen wir zuerst diesen Artikel.
Lassen sich direkte Emissionen und bezogene Energien meist aus der Nebenkostenabrechnung einfach ablesen, stellt die Erfassung und Berechnung der vor- und nachgelagerten Emissionen Kulturbetriebe vor größere Herausforderungen: Die Mobilitätsdaten für Logistik, Artists, Crew und vor allem Besuchende lassen sich nicht so einfach aus der Nebenkostenabrechnung ablesen, wie der Energieverbrauch der Heizungsanlage. Gleichzeitig unterstreichen Studien, dass die Publikumsmobilität im Kulturbereich 40- zu 90% der Emissionen verursacht. The Changency und Crowdimpact veröffentlichten kürzlich mit „Ticket to Ride“ eine beeindruckende Analyse, die das Mobilitätsverhalten des Publikums bei der AnnenMayKantereit Sommertournee 2023 untersuchte. Das Ergebnis: Trotz großer Bühne und Veranstaltungstechnik, Tourbus und Backline, Gastronomie und Abfall entstehen 88% der Emissionen durch die Publikumsmobilität, konkret sind das 2681 Tonnen Co2 oder 12,44 Kg pro Besucher:in. Bei Adeles Residency der Superlative in München lagen die Anreise-Emissionen noch dreimal höher: bei über 41,24 Kg Co2e pro Person. Wie sind die Zahlen in Hamburger Musikclubs und bei deutlich kleinere Veranstaltungen? Wie können wir uns diesem Thema nähern? Und welche Stellschrauben gibt es?
Zunächst braucht es Daten zur Publikumsmobilität. Diese zu sammeln, hätte sich bisher ungefähr so dargestellt:
Nach der Erstellung eines manuellen Fragebogens, wird eine relevante Anzahl der Besuchenden an der Tür befragt, anschließend die zurückgelegten Kilometer und die dazugehörigen Emissionsfaktoren der einzelnen Verkehrsmittel recherchiert, diese mit den Daten multipliziert, ggf. Teilstreckenabschnitte erfasst und sehr viel Zeit mit Exceltabellen und deren Auswertung verbracht. Eine Aufgabe, die wohl die meisten kleinen und mittleren Kulturbetriebe schnell an ihre Kapazitätsgrenze bringt.
Praktische Abhilfe zur Erfassung der Mobilitätsdaten liefert die App Crowdimpact. Die Entwickler:innen Laura Kleber und Julian Vogels sind seit vielen Jahren Spezialist:innen auf dem Gebiet der Co2-Bilanzierung und ausgebildete Nachhaltigkeitsberater:innen. Sie haben die Problematik der Datenerhebung im Kulturbetrieb erkannt und mit ihrem Startup eine praktikable Lösung entwickelt. Die intuitive App kann sowohl in der persönlichen Befragung angewandt oder aber als Kiosk-Lösung von den Besuchenden selbst verwendet werden. Die Dateneingabe dauert nur wenige Sekunden, Teilstrecken und unterschiedliche Verkehrsmittel können spielend leicht erfasst werden. Die Emissionen werden für jede befragte Person direkt berechnet und mit einer konventionellen Autofahrt verglichen dargestellt. Bei hohen Emissionen informiert die App die Besuchenden zudem, wie lange ein Baum wachsen müsste, um das verursachte Co2 zu kompensieren. So entsteht Bewusstsein beim Publikum, das Thema Co2 wird greifbar, der eigene Handlungsspielraum kann erkannt und reflektiert werden, Venues und Veranstaltende erhalten ein probates Hilfsmittel zur Datenerfassung für ihre Co2-Bilanz.
Die smarte Auswertung liefert neben grafischen Heatmaps auf Landkarten auch eine tiefe Analyse der Datensätze. Ausgewertet werden:
- Durchschnittliche Anreisemissionen pro Besucher:in
- Durchschnittliche Anreisemissionen pro Kilometer
- Durchschnittliche Fahrzeugbelegung und zurückgelegte Kilometer
- Prozentuale Verteilung der Verkehrsmittelnutzung
- Durchschnittliche zurückgelegte Entfernungen nach Verkehrsmittel
- verursachte Emissionen nach Verkehrsmittel
Das Clubkombinat hat die Ipad App bei unterschiedlichen eigenen Veranstaltungen getestet: Sie kam beim Runden Tisch „Zukunft feiern!“ zum Einsatz, beim Clubbrunch, sowie beim diesjährigen Clubaward und dem Sommerfest zum 20-jährigen Bestehen des Verbands zum Einsatz. Zusätzlich hat auch die Fabrique im Gängeviertel erste Publikumsbefragungen durchgeführt. Die Ergebnisse möchten wir hier vorstellen.
Mobilitätsbefragung beim Clubaward
Bei der Auswahl der Venue wurde seitens des Clubkombinats auf eine sehr gute ÖPNV- Anbindung und zentrale Lage geachtet und sich – neben vielen anderen guten Gründen – für den KENT Club an der Holstenstraße entschieden. In der Einladungskommunikation wurde mehrfach auf umweltfreundliche Anreisemöglichkeiten hingewiesen und die Befragung vorab angekündigt. Da bereits bei kleineren Mitglieder-Veranstaltungen testweise Befragungen durchgeführt wurden, konnten wir hier kommunikativ andocken. So kam das Publikum bestens vorbereitet und aufgeschlossen gegenüber der Datenerhebung zur Veranstaltung. Die Befragung selbst wurde direkt nach der Secu, noch vor der Kasse durch zwei Personen mit der Crowdimpact-App persönlich durchgeführt. Auch hier sensibilisierte die Tür-Crew erneut für die Befragung. In einem Zeitfenster von anderthalb Stunden konnten so bei dreiviertel der Gäste, also 347 Personen, sehr effizient das gewählte Verkehrsmittel und die Anreisedistanz abgefragt und erfasst werden.
Ergebnisse & Learnings
50% der Besuchenden nutzten den öffentlichen Nahverkehr und reisten trotz Bahnstreik mit Bus, U- und S-Bahn an. Weitere 32% nutzten das Fahrrad oder kamen zu Fuß. Standortwahl und Kommunikation einer umweltfreundlichen Anreise zeigen hier deutliche Erfolge. Lediglich knapp 16 % nutzten Auto oder Taxi, hier mehrheitlich für größere Distanzen (Ø 28,5km) aus dem Hamburger Umland. Überregionale Langstrecken wurden mit der Bahn zurückgelegt. Spannend ist, dass obwohl die Autonutzung so gering war und im Schnitt 1,4 Personen pro Fahrzeug mitfuhren, knapp 60% der Mobilitäts-Emissionen auf dieses Verkehrsmittel entfallen.


Deutlich wird das auch nochmal bei einem Blick auf die Heatmaps, die die Verteilung auf einer Karte visualisieren: ein Großteil des Publikums reist aus dem Stadtkern Hamburgs an, besonders häufig sind die Bezirke Mitte und Altona vertreten. Kurze Wege, die einfach zu Fuß, mit dem Rad oder ÖPNV zu bewerkstelligen sind, werden umweltfreundlich zurückgelegt. Im Schnitt legte jede Person 11,3 km/Person zurück. Werden die einzigen vier Langstreckenfahrten aus Berlin, Köln, Leipzig und Düren abgezogen, reduziert sich die durchschnittliche Anreisestrecke auf 6,7 km pro Person und die Emissionen auf 1,15 Kg/Person.


Insgesamt verursachte die Anreise des befragten Publikums 572 kg Co2e, die durchschnittliche Anreiseemissionen pro Person betrug 1,65 kg Co2e. Demnach ergibt sich für das gesamte Publikum von 476 Personen eine Summe von 785,4 kg Co2e für die An- und Abreise.
Mobilitätsbefragung der Fabrique im Gängeviertel
Auch im Kulturbetrieb des Gängeviertels in Hamburg Mitte sprechen die Zahlen eine ähnliche Sprache: Im Januar und im April 2024 wurden bei zwei Veranstaltungen insgesamt 503 Besuchende befragt. Auch hier konzentriert sich das Einzugsgebiet der Venue auf Hamburg, die Nutzung des ÖPNV überwiegt deutlich vor dem Individualverkehr. Die durchschnittlichen Anreiseemissionen liegen bei 1,130 kg Co2/Person, fallen also nochmal etwas geringer aus als beim Clubaward. Dies ist auf die noch urbanere Zielgruppe zurückzuführen. Spannende Erkenntnis: bei der Veranstaltung im April war ein Act aus Lüneburg vertreten, in dieser Befragung zeigten sich mehr Regionalfahrten, da Fans und Freund:innen des Artists aus Lüneburg mit zum Gig reisten.
Fazit
In der Befragung und Berechnung wird davon ausgegangen, dass die Anreise auch der Abreise entspricht, wenngleich hier vermutlich besonders im Veranstaltungsbereich zur Abreise vermehrt Taxi oder Moia genutzt werden. Hinzu kommen Faktoren wie Alkoholkonsum und Substanzgebrauch im Allgemeinen und ein erhöhtes Sicherheitsrisiko auf dem nächtlichen Nachhauseweg im Besonderen für FLINTA-Personen. Eine ausschließliche Forderung nach Mobilität mit ÖPNV, Fahrrad oder zu Fuß sollte diese Faktoren berücksichtigen.
Um hier eine weitere Datenlage zu schaffen, müssten Personen beim Verlassen der Veranstaltung erneut befragt werden.
Die Kernfrage ist jedoch: spielen die Publikumsemissionen bei Veranstaltungen in Hamburger Musikclubs eine ähnlich große Rolle, wie bei überregionalen Konzerten mit mehreren Tausend Zuschauenden?
Betrachtet man die durchschnittlichen Anreiseemissionen pro Kopf, so zeigen sich hier deutliche Unterschiede:
- 1,65 kg Co2e beim Clubaward im KENT Club
- 1,85 kg Co2e bei Veranstaltungen in der Fabrqiue im Gängeviertel
- 12,44 kg Co2e bei der Tournee von AnnenMayKantereit im Durchschnitt
- 41,24 kg Co2 bei der Konzertreihe von Adele in München
- 9,5 kg Co2e beim Konzert von AnnenMayKantereit auf der Trabrennbahn in Hamburg
Die An und Abreise-Emissionen im Musikclub fallen also ca. 80% geringer aus, als beim Großkonzert.
Dies ist neben der Lage der Venue auch auf die Unterschiedlichkeit des Bookings zurück- zuführen. Ein großes Konzert spricht deutlich mehr Menschen aus dem Umland, bundes- weit und ggf. auch dem Ausland an, die teilweise nur für dieses Konzert anreisen. Während eine Clubnacht am Wochenende eher ein urbanes Publikum anspricht, das, selbst wenn es aus dem Umland anreist, dann auf den ÖPNV zurückgreift.
Wie hoch ist der Anteil der Emissionen an den gesamten Veranstaltungsemissionen, sind es wirklich 80%?
Die eindeutige Antwort: Kommt drauf an, wie gerechnet wird. Gemäß der neuen Standards KBK und KBK+ entfallen relevante Emissionen für Catering und Material. Werden diese nicht berücksichtigt, so zeichnet sich in Bezug auf den Clubaward ein vergleichbares, wenn auch viel geringeres Bild: Publikumsemissionen betrugen– exklusive Catering und Getränke – circa 60% der Gesamtemissionen nach KBK+. Berechnet man Catering und Getränke mit der aktuell noch dünnen Datenlage mit ein, so sind die Emissionen für Anreise und Catering gleich auf und der Anteil verringert sich entsprechend.
Was bleibt als Handlungsmöglichkeit für die Clubkultur und Veranstaltende in HH?
- Sichere, beleuchtete Fahrradstellplätze bieten
- Selbst Mobilitätsdaten erheben und Co2-Bilanz erstellen
- Publikum zur umweltfreundlichen Anreise animieren, informieren ggf. belohnen
- Anreise mit dem ÖPNV prominent auf der Website nennen
- Auf gute ÖPNV-Anbindung bei der Venue-Auswahl (sofern möglich) achten oder diese in Zusammenarbeit mit den Verkehrsbetrieben vorantreiben