Ohne Clubkultur wird’s grau

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Ein Lagebild zur ökonomischen Disbalance in der Livekultur

Ein aktuelles Club-Monitoring skizziert nach dem Sommer 2024 eine dramatische Gesamtsituation in der Hamburger Clublandschaft. Das Clubkombinat vollzog im Erhebungszeitraum vom 25.09. bis 09.10.24 eine Branchenerhebung unter den Mitgliedern. Durch eine Rücklaufquote von 26% (Musikclubs: 30,2%) kann dieses Lagebild eine relativ hohe Repräsentativität beanspruchen.

KERNAUSSAGEN AUS DER UMFRAGE

Insgesamt ist im durchschnittlichen Mittelwert ein Umsatzrückgang von – 11% und ein Gewinneinbruch um – 20% gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen. Als größte Herausforderung werden allgemeine Kostensteigerungen (74%) genannt. Danach folgen eine sinkende Nachfrage beim Publikum (67%) und finanzielle Schwierigkeiten (62%).

Aufgrund der diversen Preissteigerungen und der wirtschaftlichen Situation verfolgen Veranstaltende Programmanpassungen und können weniger Nachwuchs- Künstler:innen eine Live-Bühne bieten als bislang. Dieser Aussage stimmen eine große Mehrheit von 82,5 % voll und ganz zu oder eher zu. Im Vergleich zur letzten Erhebung im Februar 2024 lag dieser Wert bei 64%.

Auch der Ruf nach staatlichen Fördermitteln ist ebenso mehrheitlich zu verzeichnen: 58% stimmen der Aussage voll und ganz zu oder eher zu, dass in den kommenden 12 Monaten (mehr) Fördergelder benötigt werden, um den Veranstaltungsbetrieb zu halten. 30% der Mitglieder antworten mit teils/teils und 12,5% stimmen hier eher nicht oder überhaupt nicht zu.

Über eine Beendigung des Veranstaltungsbetriebs in den nächsten 12 Monaten denken 10% der Mitglieder konkret nach.

RADIKAL VERÄNDERTE RAHMENBEDINGUNGEN FÜR LIVEMUSIK

Die Corona-Pandemie und der Angriff Russlands auf die Ukraine und der daraus resultierende anhaltende Krieg mitten in Europa haben die Rahmenbedingungen für Live- Musik disruptiv getroffen und radikal verschärft. Das Ausgeh- und Konsumverhalten für Live-Events hat sich dramatisch verändert: Junge Besuchende bleiben aus, weil sie in der Corona-Zeit lernen mussten, anders zu feiern. Die Inflation frisst die schmalen Budgets für das Ausgehen. Zahlungskräftiges Publikum wählt eher alternativ hochpreisige Events der Megastars (siehe Taylor Swift, Adele, Oasis & Co.) aus und entzieht dem Club-Segment zusätzliche Kaufkraft. Parallel sind die Kosten für den Club- und Veranstaltungsbetrieb extrem gestiegen (exemplarische Beispiele: Security & Ton- und Lichttechniker:innen + 100%, Wareneinkauf Bier bis zu + 35%, Strom + 50%, Gas + 100%). Preisanpassungen bei Eintrittspreisen und Getränken wirken wie Gift und bilden einen Teufelskreislauf. Von fairen Löhnen und angemessenen Bedingungen in einem prekären Arbeitsumfeld ist die Subkultur zudem weiterhin weit entfernt.

Erschwerend kommt hinzu, dass Programmangebote der sogenannten Hochkultur in Hamburg (u.a. in der Elbphilharmonie, auf Kampnagel und anderen Häusern) vermehrt populäre Musik aufgreifen. Dieser Trend der institutionell geförderten Häuser wirkt sich massiv wettbewerbsverzerrend zu Ungunsten der freien Live-Musikspielstätten aus.

Argumente

Die Bezahlbarkeit und Teilhabe an Live-Musik-Veranstaltungen war und ist mehr denn je eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Die Zugangsbarrieren dürfen nicht weiter steigen bzw. die Erschwinglichkeit muss — gerade für junge Menschen — erhalten bleiben. Gerade in diesen Zeiten, wo Orte der Begegnungen für den sozialen Klebstoff mehr denn je benötigt werden. Bei Live-Konzerten wird der soziale Austausch intensiviert, werden Barrieren überwunden und sie bilden durch ihre demokratiefördernde Wirkung ein stabiles Fundament für ein friedliches Miteinander.

Die verzwickte Lage der Clubs zeigt exemplarisch auf, dass ein Kipppunkt für das Ökosystem der Musikwirtschaft überschritten ist. Kleinere Musikbühnen wirken bislang als Biotope der Musikwirtschaft. Ihre kulturellen Programme trocknen rasant aus. Die jüngste Musikwirtschaftsstudie zeigt auf, dass die Musikbranche mit einer vertikalen Integration in der Wertschöpfung von 80% wie kaum eine andere Branche miteinander verzahnt ist. Die Folgen der gegenwärtigen Krise werden in ein paar Jahren an leeren Terminkalendern der Arenen, fehlenden Headliner-Slots auf den Festivals und sinkenden Umsätzen in allen Teilsegmenten der Musik zu sehen sein.

Die Zurückhaltung der Besuchenden treffen ganz besonders die Nachwuchskonzerte von noch eher unbekannten Live-Acts. Die geänderten Rahmenbedingungen führen zu einer Finanzierungslücke für die Produktionen von Live-Konzerten und DJ-Nächten und verhindern reihenweise Nachwuchsauftritte. Clubs sehen sich gezwungen, ihre Programmplanungen anzupassen: Sogenannte “Risiko-Shows” werden weitestgehend vermieden. Die direkt notleidenden sind die Nachwuchs-Künstler:innen, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, unbekannte(re) Artists und kleinere Veranstalter:innen, die nur relativ wenig planbare Besuchende garantieren können. Die Folge: Wir verzeichnen bereits jetzt einen enormen Wandel in den Veranstaltungskalendern, der die kulturelle Vielfalt bedroht. Diese Situation verschärft insbesondere auch die prekäre Lage der Musikschaffenden, deren de facto letzte relevante Einnahmequelle das Live-Geschäft (und hier insbesondere das Tournee-Geschäft) ist bzw. war.

Kernfragen

Es wird eine enorme Kraftanstrengung seitens der Politik, der Musikwirtschaft und der Zivilgesellschaft erfordern, um die aktuellen Herausforderungen der Musikbranche gemeinsam zu bewältigen und nachhaltig zukunftssicher(er) zu gestalten.
Die Kernfragen lauten dabei: Welcher Teilsektor der Musikwirtschaft (Kreative, Live Music, Recorded Music, Musikverlage, Musikinstrumente, Musikunterricht, Verwertungs- gesellschaften) ist für den Aufbau und die Entwicklung von erfolgreichen (Nachwuchs)Künstler:innen in der Wertschöpfungskette unverzichtbar bzw. entscheidend?

Schaffen es die Algorithmen von YouTube, TikTok und Spotify & Co. künftig auch alleine neue Künstler:innen im Markt zu etablieren? Und: Werden die kleinen Live-Bühnen, auf denen sich die Künstler:innen vor — zunächst kleinem — Publikum ausprobieren und wachsen können, künftig noch benötigt?

Und selbst wenn dem nicht so wäre, würde dann nicht das Element der Begegnung und das Entdecken von Momenten, Menschen und die Spontanität bzw. der Faktor des Unerwarteten fehlen? Letztlich muss sich die Gesellschaft entscheiden, ob (Club-) Räume und private Musikbühnen als Kulturstätten wertvoll und förderungswürdig sind oder diese rein kommerziellen Überlegungen überlassen werden sollten.

Lösungsansatz

Aus Sicht des Clubkombinats sollte sich der Staat (Bund & Länder) in einer Arbeitsteilung darauf konzentrieren, die Infrastruktur bzw. die Orte zu erhalten und neue Räume zu ermöglichen, während die Branche in einer breiten Allianz für einen „Circle of Live“Themen wie (Aus-)Bildung & Qualitätssicherung, Nachhaltigkeit & Awareness, Nachwuchsförderung von Künstler:Innen (u.a. Stipendien) und hier insbesondere Grassroot- Konzerten (Kleinstkonzerte), (Erst-) Tourneeförderung und eine Festivalförderung etabliert. Konzertgänger:innen könnten am Ende des Ticketkaufs optionale Spenden einen freiwilligen Zusatzanteil beisteuern.

Gegenwärtig umfasst die Infrastrukturförderung für private Musikspielstätten im Live Concert Account eine Antragssumme in Höhe von rund 337.000 €. Umgerechnet auf 56 bewilligte Antragssteller:innen liegt die durchschnittliche Förderhöhe im Jahr 2024 damit bei 6.250 € pro Club bzw. bei rund 66 € pro Konzert.

Zuletzt haben der Senat und die Bürgerschaft die akute Not von einzelnen Clubs (siehe: Molotow, Fundbureau, Beat Boutique und Nica Jazz Club) ernst genommen, zukunftsichernd gehandelt und damit einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Vielfalt der Clubkultur geleistet.

Das Clubkombinat steht in Gesprächen mit der Behörde für Kultur und Medien und der Politik über eine künftige Ausstattung der Club-Förderung, die in der Breite der Clubszene ab dem nächsten Haushaltsjahr eine Wirkung entfaltet.

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