Im Club mit: Slime

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In dem Titelstück eures neuen Albums „Wem gehört die Angst“ singst du von einem Gift in den Herzen, es heißt darin „Angst hat Konjunktur“. Ist diese allgegenwärtige Angst gerade das größte Problem unserer Gesellschaft?
Dirk Jora: Bei all den großen Problemen, die wir haben, vermag ich nicht zu sagen, dass es das größte ist. Es gibt halt eine ganze Menge Probleme. Aber was wir damit meinen und was auch das Video zu dem Song zeigen soll, ist wie die Rechten diese Angst für sich reklamieren – die völlig berechtigte Angst vor Umweltverschmutzung, die Angst vor kultureller Überfremdung – und diese dann instrumentalisieren. Das ist auf jeden Fall ein großes Problem.

Mit Slime habt ihr den politischen Punk in Deutschland seit den Achtzigern maßgeblich mitgeprägt. Hättet ihr gedacht, dass man euch im Jahr 2020 immer noch braucht?
Befürchtet ja, gehofft nein. Unser politisch relevantestes Album war in den Augen vieler ja „Schweineherbst“, damals zu der Zeit der Anschläge von Mölln und Solingen. Wir haben natürlich gehofft, dass sowas – Menschen, die in ihren Betten verbrannt werden, weil sie einem anderen Kulturkreis entstammen und eine andere Hautfarbe haben – 20 Jahre später nicht noch mal besungen werden muss. Dass es heute offensichtlich mehr denn je notwendig ist, ist leider eine ungebrochene, negative Tradition in diesem Land. Das heißt für uns: Je beschissener die Zeiten da draußen sind, desto mehr braucht man Slime.

Wie seid ihr zum Punk Rock gekommen?
Wir haben damals viel Glam Rock, aber auch Hard Rock wie Led Zeppelin, Uriah Heep und Deep Purple gehört. Punk Rock gretschte da genau rein. Es gibt ja zwei Arten Punk: Fun-Punk-Texte wie die von den Ramones und politische Bands wie The Clash. Unser Gitarrist Elf und ich haben uns von Anfang an dieser politischen Fraktion zugehörig gefühlt. Was wir gemacht haben, war quasi Ton Steine Scherben in schneller und härter. Der Song „Paradies“ auf unserem Album beschreibt das ganz gut: Rio Reiser sang vom Paradies, wir putzen in Steilshoop die schwarzen Helme von der Brokdorf-Demo. Das war so eine Aufbruchszeit. Man dachte, man könnte die Welt aus den Angeln heben.

Wo hattet ihr eure ersten Konzerte?
Am Anfang haben wir tatsächlich viel in Jugendzentren gespielt. Im Jugendzentrum Kiebitzmoor hat uns der Schulleiter mal den Strom abgedreht, weil ihm die Texte dann doch ein kleines bisschen zu hart waren (lacht). Später sind wir auch viel im Krawall 2000 aufgetreten, das war eine linke Szenekneipe. Es gab damals wenig Auftrittsmöglichkeiten für Punk-Bands, weil es oft schwere Auseinandersetzungen mit den Rechten gab. Die Markthalle gehörte zu den ersten Läden, die sich das getraut haben.

Welches Konzert werdet ihr nie vergessen?
Einer unserer ersten Auftritte war im Knast in Neuengamme. Das war sehr eigen! Wenn du da den Gang runter gehst, links und rechts nur Zellen, dann fragst du dich schon, ob das richtig ist, was du da machst. Das Gefängnis steht ja auch auf einem ehemaligen KZ-Gelände, was ich in einer Ansage erwähnt habe. Daraufhin begann es ganz gut abzugehen im Publikum und die Wärter wurden echt nervös. Da hatten zwar vorher schon mal Künstler wie Abi Wallenstein gespielt, aber sowas hatten die noch nicht gesehen. Das hat ganz schön für Aufruhr gesorgt. Es durften dann auch ein paar Jahre keine Rockkonzerte mehr stattfinden.

Wo trifft man dich heute?
Ich bin vor 13 Jahren ganz bewusst aufs Land gezogen, weil ich früher sehr viel Rock’n’Roll gemacht habe und klar war, dass ich mal ein bisschen ruhiger werden muss. Seitdem gehe ich nicht mehr so viel aus. Aber wenn, dann gehe ich gerne in den Monkeys Music Club in der Max-Brauer-Allee. Da spielen viele alte Oi- und Skabands, aber ich habe neulich auch noch mal Fehlfarben gesehen. Und ich gehe natürlich gerne ins Jolly Roger, weil es da eben nicht nur um Fußball-Fankultur, sondern auch Musik geht. Da legt zum Beispiel jedes Wochenende ein DJ auf.

Was macht einen guten Laden aus?
Es steht und fällt für mich mit der Musik. Auch wenn mein Geschmack relativ weit gefasst ist und ich nicht nur Punk Rock höre – ich kann nicht in einem Laden sitzen, wo Techno läuft. Fast genauso essentiell wie die Musik ist natürlich das Barpersonal. Das beides zusammen schafft die Grundatmosphäre eines Ladens.

Wie würdest du die Hamburger Clublandschaft beschreiben?
Das kann ich gar nicht richtig beantworten, dafür gehe ich zu wenig aus. Ob sie divers genug ist, kann ja eigentlich nur jemand beurteilen, der von Punk bis Techno alles hört und auch jeden Laden aufsucht. Man hat ja seine Richtung an Läden und wenn es davon genug gibt, ist man zufrieden. Und das ist bei mir auf jeden Fall immer noch so. Wenn ich nach Hamburg fahre, habe ich keine Probleme einen Laden zu finden, wo ich sage da gehöre ich hin.

Wenn du Kultursenator wärst, was würdest du ändern?
Das ist einfach zu beantworten: Die Millionen, mit denen immer noch ein Sitz in der Staatsoper und in bestimmten Theatern finanziert werden, würde ich so aufteilen, dass es wenigstens ansatzweise gerecht ist und Läden wie Hafenklang nicht am Existenzminimum rumkrebsen. Es geht mir nicht darum zu sagen diese Kultur ist richtig und die andere falsch. Aber die Kulturlandschaft in Hamburg besteht eben nicht nur aus der Elbphilharmonie und Staatsoper.

Aktuell seid ihr mit Slime anlässlich eures 40-jährigen Bestehens auf Tour. Was erwartet die Besucher bei der Jubiläumsshow in der Großen Freiheit?
Es wird auf jeden Fall einiges passieren auf der Bühne und wir werden auch Gäste dabeihaben. Wer sich unser vorletztes Album „Hier und Jetzt“ anhört, kann ahnen, wen ich meine. Beim Heimspiel in Hamburg spielen wir auch wesentlich länger, meistens zwei Stunden.

Bevor es losgeht – bei welchem Konzert würdest du im März gerne auf der Gästeliste stehen?
Bei The Vibrators im Hafenklang am 2. März – erstens ist das Hafenklang ein toller Club und zweitens sind die Vibrators eine der geilen alten Punkrock-Bands. Und dann bei Deichkind am 7. März in der Barclaycard Arena. Für ihr Album „Befehl von ganz unten“ haben wir damals den Song „Die rote Kiste“ mit ihnen aufgenommen. Daraufhin habe ich sie dann das erste Mal live gesehen und das ist ein echtes Erlebnis, ein Multimedia-Spektakel.

Hast du noch ein letztes Wort an die Hamburger Clubgänger?
Besucht mehr Konzerte – und hört euch Musik nicht nur auf dem Smartphone an!


ZUR BAND

Slime wurden 1979 in Hamburg gegründet und schnell für ihre politischen, antifaschistischen Texte bekannt. Nach einer ersten Auflösung 1984 kam es mit den fremdenfeindlichen Ausschreitungen Anfang der Neunziger zur Wiedervereinigung, die für zwei Alben hielt. 15 Jahre war es anschließend still um die Band, bevor sie 2009 erneut zusammenkamen. Seitdem hat die Band zwei Alben veröffentlicht und es damit sogar in die Top 20 der deutschen Albumcharts geschafft.
www.slime.de


ZUR MUSIK

Am 13. März veröffentlichen Slime ihr neues Album „Wem gehört die Angst“. Die Texte entstanden wie schon beim Vorgänger zusammen mit Sänger Max Richard Leßmann, der früher bei Vierkanttretlager war. Von punkigen Gitarren untermalt thematisiert Dirk Jora in den 13 Song wichtige gesellschaftliche Probleme – ob biografisch wie in „Ebbe und Flut“ und „Paradies“ oder als klare politische Kampfansagen gegen Rechtpopulismus wie in „Die Toten wollen wieder alleine sein“ und „Weißer Abschaum“.


SLIME live
Datum: 20. März Ort: Große Freiheit 36
Einlass: 18 Uhr Beginn: 19 Uhr
Tickets: 27,55 Euro

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