Im Club mit: Ilgen-Nur


I’m just trying to be cool, but I’m acting like a fool“, heißt es in deiner aktuellen Single „Cool“. Was ist eigentlich cool?

Ilgen-Nur: Es existiert ja eine gewisse Vorstellung davon, was cool sein soll: Style, was man macht, die Art und Weise, wie man lebt. Im Grunde muss jeder für sich selbst definieren, was er cool findet. Aber natürlich gibt es gewisse Sachen, die ich generell cool finde – zum Beispiel, wenn Leute offen und nett zueinander sind, oder einfach nicht scheiße miteinander umgehen.

In dem Song geht es auch darum herauszufinden, was du im Leben willst. Bist du inzwischen weitergekommen?

Ich glaube schon. Als ich das Lied geschrieben habe, vor zwei oder drei Jahren, wusste ich noch gar nichts. Der Song entstand mit dem Gedanken, dass ihn außer ein paar Freunden wahrscheinlich nie jemand hören wird! Inzwischen habe ich eine viel bessere Vorstellung davon, wie ich mein Leben leben möchte: Ich weiß, dass ich mein Kommunikationsdesign-Studium beenden, Musik machen, touren und Filme machen möchte, dass ich Kunst in verschiedenen Formen machen möchte.

Was hat dich vor zwei Jahren nach Hamburg gezogen?

Ich bin für mein Praxissemester gekommen. Ich studierte damals im Schwarzwald und wollte da einfach raus! Noch an dem Tag, an dem ich in Hamburg angekommen bin, wusste ich, dass ich hierbleiben würde. Im Schwarzwald war nichts los, da spielten auch keine Bands, aber ich wusste hier in Hamburg gibt es eine Szene an Musik, an Kultur. Ich habe dann schnell viele tolle Leute kennengelernt, mit denen ich heute noch befreundet bin.

Kannst du dich noch an deinen ersten Club oder Konzertbesuch erinnern?

Gleich in der Woche, in der ich hergezogen bin, war ich im Molotow auf dem Konzert von PINS. Ich hatte schon viel vom Molotow gehört – alle Bands, die ich mochte, hatten den Laden immer auf ihrem Tourplan. Ich bin natürlich erst mal zur alten Adresse gelaufen und stand vor einer Baustelle. Zum Glück fiel mir wieder ein, dass irgendjemand erwähnt hatte, dass das Molotow umgezogen ist. Ich kam noch pünktlich (lacht). Später habe ich im Molotow dann mein erstes richtiges Konzert gespielt – das erste Mal, dass es vor der Bühne voll war und ich nicht in einem Café vor drei Freunden gespielt habe!

Wo trifft man dich heute?

Meistens im Saal 2, hinten in der Raucherecke sitzend. Mein Bassist Laurens arbeitet dort und mein Gitarrist Paul hat da auch zehn Jahre gearbeitet. Im Saal 2 kenne ich immer Leute. Zum Feiern am Wochenende gehe ich meistens in den Golden Pudel Club. Da ist es ähnlich: Ich kann da alleine hingehen, irgendwen treffe ich schon. Als ich noch neu in Hamburg war, war ich ab und zu auch in anderen Clubs unterwegs, aber ich habe schnell gemerkt, dass ich mich da nicht wohl fühle.

Was macht einen guten Laden aus?

Ich mag schicke Läden – den Central Congress zum Beispiel finde ich total cool. Leider etwas teuer, aber auch sehr schön. Ich mag aber auch abgewrackte Läden. Hauptsache die Musik gut ist, die Leute sind nett und der Eintritt ist nicht zu teuer. Wichtig sind gute DJs, ein gutes Programm und vor allem eine gute Türpolitik wie zum Beispiel im Pudel: Refugees Welcome!

Wie würdest du die Hamburger Clublandschaft insgesamt beschreiben?

Im Vergleich zu Stuttgart ist Hamburg natürlich krass. Man kann jedes Wochenende feiern gehen und es gibt einen Überfluss an Veranstaltungen. Und obwohl ich jetzt zwei Jahre hier bin, gibt es unheimlich viele Clubs und Orte, die ich nicht kenne. Ich war zum Beispiel noch nie im Frappant. Dass es noch so viel zu entdecken gibt, finde ich super.

Wenn du ab morgen Kultursenatorin wärst, was würdest du ändern?

Ich würde versuchen, die queere Szene zu fördern. Denn was Hamburg total fehlt, sind queere Räume. Eine Freundin von mir, Yeşim Duman, veranstaltet im Pudel die Reihe Erdogay, die finde ich großartig – aber das war’s dann auch fast mit queeren Veranstaltungen. In der Langen Reihe oder auf der Reeperbahn gibt es höchstens Läden für schwule Männer, Anlaufstellen für andere queere Leute gibt es nicht. Auch Drag-Shows finden hier im Vergleich zu Berlin kaum statt.

Was reizt dich daran?

Dass ich selber queer bin und alle meine Freunde – und wir uns einfach wohler fühlen in einem Raum, in dem nicht nur Macker-Typen sind, die einen angrabschen oder angucken, weil man ein gewisses Outfit anhat. Das Problem ist: Es muss halt Leute geben, die Zeit und Energie haben, solche Partys auf die Beine zu stellen. Ich würde das auch gerne machen, aber wenn man für seine kreative Arbeit nicht bezahlt wird, ist das bei den sauteuren Mieten in Hamburg schwer… Es muss also mehr Anerkennung und Förderungen geben, dann würde sowas auch öfter stattfinden.

Mal angenommen du dürftest in Hamburg ein Festival auf die Beine stellen – wo würde es stattfinden und wer würde spielen?

Ich würde es entweder auf dem Gelände vom Dockville Festival oder im Uebel & Gefährlich veranstalten, und einladen würde ich all amerikanischen und englischen Bands, sie ich gerade toll finde und die hier selten spielen: Snail Mail, Potty Mouth, Sundflower Bean, Japanese Breakfast.

Im September stehst du beim Reeperbahn Festival im Rahmen des „Wunderkinder“-Programms auf der Bühne. Welche Hamburger Bands sollte man noch auf dem Schirm haben?

Auf jeden Fall Erregung öffentlicher Erregung, das ist die Band meines Bassisten Laurens. Auch super finde ich Monako, da kommt bald eine EP – total Mac DeMarco mäßig! Kuoko und Lovespells sind auch toll.

Bei welchen Konzert würdest du im Juni gerne auf der Gästeliste stehen?

Ich zeck mich immer ein, das ist total schlimm (lacht). Sonst könnte ich mir das auch gar nicht leisten, zu all den Konzerten zu gehen… Am 10. Juni würde ich gerne zu Ringo Starr in den Stadtpark gehen – einfach, weil es Ringo Starr ist! Und am 19. Juni ins Grünspan zu L7, das ist so eine alte Riot-Grrrl-Band.


ZUR PERSON

Ilgen-Nur Borali ist 22 Jahre alt und wuchs in einer Kleinstadt bei Stuttgart auf. Ihr Name ist türkisch-arabischer Herkunft. Als sie im Alter von elf Jahren „Made Of Bricks“ von Kate Nash hörte, beschloss sie selbst Musik zu machen. Vor zwei Jahren zog Ilgen-Nur nach Hamburg. Ihre erste EP „No Emotions“ erschien im Mai 2017, Anfang dieses Jahres war sie mit Tocotronic auf Tournee. Aktuell schreibt Ilgen-Nur – zwischen Auftritten beim Spot Festival in Dänemark und beim Great Escape in England – „ganz entspannt“ Songs für ihr erstes Album.


ZUR MUSIK

Rauer Indie-Rock, weder glattpoliert noch gewollt dilettantisch, dazu lässiger Gesang und Texte, die wie ein Tagebuch anmuten – so könnte man die Musik von Ilgen-Nur beschreiben. Unterstützt wird sie von ihrer Band, bestehend aus Paul Pötsch (Trümmer), Laurens Maria Bauer (Erregung öffentlicher Erregung) und Simon Starz. Nach ihrer Debüt-EP „No Emotions“, die von Die-Nerven-Gitarrist Max Rieger produziert wurde, hat Ilgen-Nur Anfang des Jahres die Single „Cool“ veröffentlicht – ein garagig heruntergerockter Song über die Frage, was eigentlich cool ist.


ILGEN-Nur live

Datum: 16. Juni 2018
Ort: Daughterville Festival
Beginn: 13.00 Uhr
Tickets: 15,00 Euro


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