Im Club mit: Die Goldenen Zitronen

,

Kannst du dich an deinen ersten Club- oder Konzertbesuch in Hamburg erinnern?

Ted Gaier: Ich bin 1983 nach Hamburg gekommen. Wo genau ich als erstes war, weiß ich nicht mehr, aber ich bin damals viel auf Konzerte in der Markthalle und in der Fabrik gegangen. 1983 habe ich die Violetten Femmes gesehen, The Meteors war auch sehr beeindruckend. Die meisten Nächte habe ich aber im Krawall 2000 am Fischmarkt verbracht – der älteste Punk-Laden in Deutschland. Direkt daneben habe ich gewohnt. Wir gingen auch gerne in klassische, proletarische Kneipen wie die Haifischbar oder den Schellfischposten. Und in die Hafenstraße natürlich.

Die Hafenstraße wurde kurz zuvor besetzt. Wie war es damals auf St. Pauli?

St. Pauli war ganz anders, als ich es aus Süddeutschland kannte. Dort waren Subkulturen wie Punks, Teddyboys, Mods und die Schwulenszene vernetzt. In Hamburg war alles sehr segregiert und es war normal, dass man sich mal geprügelt hat. Ärger gab es auch mit den Luden. Der Kiez war damals noch reines Prostitutionsbusiness und wirklich ein bisschen rechtsfreier Raum. Am Wochenende kamen die Tour-Busse aus Dänemark für die Peepshows. Subkulturläden gab es auf dem Kiez nicht. Zur Ausgehmeile hat sich die Reeperbahn erst Ende der Achtziger geöffnet, als durch die Aidskrise die Zahlen der Sextouristen zurückging.

1984 habt ihr Die Goldenen Zitronen gegründet. Wo hattet ihr eure ersten Auftritte?

Unseren ersten Hamburg-Auftritt hatten wir im September 1984 in der Hafenstraße. Das war ein Festival mit etwa 20 Punkbands in einem ganz kleinen Laden, wo nur 60 Leute oder so reinpassten. Dort haben wir glaube ich dreimal gespielt. Auch in der Volksküche sind wir am Anfang oft aufgetreten, auf Punkkonzerten, zum Beispiel mit Bands aus dem Slime-Umfeld.

Was haben diese Orte für euren Werdegang bedeutet?

Wir waren damals ja 19 oder 20 und ich würde generell sagen: Wenn man es ernst meint mit Musikmachen, muss man erst mal in einem Umfeld sein, wo man keinen Druck hat, wo man sich ausprobieren kann. Und man muss irgendwie das Gefühl haben, dass man da etwas Eigenes hat. Zu unserer Zeit ging es ja sehr stark darum, sich abzugrenzen, und das tolle am Kiez war: Durch den Rückgang der Prostitution fand so eine Umeignung statt, ganz ohne finanzielles Interesse. Das Molotow, das Soul-Kitchen, das Baton Rouge – man konnte diese Läden billig haben und einfach betreiben. Auch Rocko Schamoni bekam einfach den Schlüssel für den Pudel, damals noch in der Schanze, und konnte bis zum Abriss machen, was er wollte. Deswegen finde ich es so scheiße, dass heute alles gebranded und hipsterisiert ist.

Wo trifft man dich heute?

Naja, ich bin jetzt ja 54, ich gehe nicht mehr so viel aus. Wenn wir auf Tour sind, gehe ich in Provinzstädten gerne in den letzten Absturzladen, weil man da oft unwahrscheinliche Zusammenkünfte hat. Hier in Hamburg… ich mochte das Golem, weil es ein bisschen die Fortführung von dem war, was wir als coole Läden begriffen haben. Ab und zu gehe ich in den Pudel, aber am wohlsten fühle ich mich eigentlich im Nachthafen.

Was macht einen guten Laden aus?

Das Buch von Tino Hanekamp hat das gut beschrieben: Ich glaube jede Generation, Subkultur oder Peergroup hat eine Vorstellung von Ekstase, deren Ästhetik sich unterscheidet. Ich zum Beispiel mochte den Style in den Achtzigern, als alles total hell war, wie in Galerien. Weil man nach dem Hippie-Kerzenlicht das Bedürfnis hatte nach hellem Neon-Licht. Jetzt ist es ja manchmal so dunkel, dass man die Outfits gar nicht sieht. Ich würde gerne mal wieder im Hellen tanzen!

Wie würdest du die Hamburger Clublandschaft beschreiben?

Was ich an Hamburg immer mochte, ist dass die Läden so klein sind. Eine Mischung aus Kneipe und Club. Das ist immer noch so. Mit meinen 54 kommen mir die Sachen aber auch manchmal wie eine Wiederholung vor. Mit 17 war es natürlich super aufregend, den ganzen Abend cool in der Ecke zu stehen und vielleicht zweimal zu tanzen. Heute langweile ich mich dann doch nach einer Stunde – und gehe nach Hause oder woanders hin, wo man sitzen und reden kann.

Mal angenommen, du wärst Kultursenator, was würdest du in Hamburg ändern?

Ich würde ganz viele Immobilien enteignen und Mieten einfrieren. Das ist die einzige Möglichkeit, die eine Stadt wie Hamburg retten könnte. Man muss sich schon entscheiden: Will man Profit machen, oder will man ein interessantes Zusammenleben im Stadtteil? Aber die Handhabe hat man als Kultursenator ja gar nicht. Und die Ehrfurcht vor der Immobilienwirtschaft ist so groß, das ist skandalös.

Mit den Goldenen Zitronen habt ihr in euren Texten immer wieder Gesellschaftskritik geübt. Was kann Musik bewirken?

Musik kann eine ganze Menge bewirken. Sie kann Hass oder Liebe artikulieren, sie kann kritische Bewegungen begleiten. Es gibt ja zum Beispiel ganz viele Song der Bürgerrechtsbewegung, in denen Sachen formuliert wurden. Musik kann auch verstören oder irritieren, sie kann Trost geben und Abgrenzung produzieren. Aber was Musik nicht kann, ist eine Bewegung aus dem Boden stampfen oder intitiieren.

2019 feiert ihr euer 35. Bandjubiläum. Wenn ihr zur Feier eine Party veranstalten würdet, wo würde sie stattfinden und mit wem?

Wir haben zu unserem 18-Jährigen schon mal so eine Gala gemacht, in der Fabrik. Mit Leuten, denen wir uns verbunden fühlten, zum Beispiel Peaches und Jochen Distelmeyer. Dieses Mal würde ich noch viel diverser einladen. Mein Freundeskreis hat sich stark erweitert, auch durch die Solidarität mit Lampedusa. Afrikanisches Zeug und querer HipHop wären auf jeden Fall auch dabei. Vielleicht würden wir es im Uebel & Gefährlich machen. Der Laden ist uns von den Leuten, vom Programm und vom ganzen Ansatz am nächsten.

Bei welchem Konzert würdest du im April gerne auf der Gästeliste stehen?

Bei Kamasi Washington am 30. Mai im Docks und – ausschließlich aus nostalgischen Gründen – bei Suzi Quatro am 6. Mai in der Laeiszhalle. Das ist jetzt nicht gerade der heißeste Tipp, aber Suzi Quadro war als Achtjähriger mein Idol.


ZUR BAND

Die Goldenen Zitronen wurden 1984 in Hamburg gegründet. Im Laufe der Jahre haben sie 13 Studioalben veröffentlicht und sich von der Fun-Punkband mit teils schlagerartigen Texten zur gesellschaftskritischen Diskurs-Pop-Gruppe entwickelt. Von den Gründungsmitgliedern sind nur noch Bassist und Gitarrist Ted Gaier sowie Sänger Schorsch Kamerun dabei. Kamerun ist auch als Regisseur, Schauspieler und Autor bekannt, Gaier war Mitbegründer des Hamburger Labels Buback, macht nebenbei Theatermusik und ist ebenfalls Regisseur und Schauspieler.


ZUR MUSIK

Gut fünf Jahre nach ihrem letzten Album „Who’d Bad“ veröffentlichten Die Goldenen Zitronen Anfang dieses Jahres ihr 13. Album „More Than A Feeling“. Musikalisch ist die Platte zum Teil an die Achtziger angelehnt, aber zugleich elektronisch und experimentell. Textlich beschäftigen die Goldies sich mit den Wirrungen unserer Zeit. In „Die alte Kaufmannsstadt Juli 2017“ zum Beispiel kommentieren sie den G20-Gipfel in Hamburg: „Welche Demo passt zu dir? Passt zu mir? Passt zu dieser Band? Was diese Band betrifft: Welcome to hell!“


DIE GOLDENEN ZITRONEN live
Datum: 6. Mai 2019 Ort: Uebel & Gefährlich
Einlass: 20 Uhr Beginn: 21 Uhr
Tickets: ab 22,70 Euro

WEITERE NEWS