Im Club mit: Carsten Brosda (Behörde für Kultur und Medien)

,

Im Frühjahr 2020 traf der corona-bedingte Kultur-Lockdown die Livemusikbranche mit voller Wucht und hat das Geschehen aktuell immer noch fest im Griff. Mit Blick auf dieses traurige zweijährige Jubiläum sprechen wir mit dem Hamburger Kultursenator Carsten Brosda über persönliche Eindrücke und politische Aussichten. 2017 einst noch als Staatsrat, ist es bereits das zweite Mal, dass wir mit ihm als Gesprächspartner in dieser Interviewreihe in die Clubwelten eintauchen.

WAS WAR DEIN LETZTES CLUB-ERLEBNIS UND WELCHEN MOMENT HAST DU DAVON NOCH PRÄSENT VOR AUGEN?
Die meisten meiner Club-Erlebnisse haben ja etwas damit zu tun, dass ich großartige Konzerte gehört habe. Das war zuletzt beim Reeperbahnfestival in einem Club der Fall. Ein wirklich besonderes Club-Erlebnis während der Pandemie war aber die etwas schräge Lesungskonzertperformance, die ich mit Das Weeth Experience im Knust gemacht habe. Das ist jetzt schon mehr als ein Jahr her, hat im tiefsten Winterlockdown stattgefunden, wurde nur gestreamt und hat trotzdem alle, die dabei waren, daran erinnert, wie gut sich echte Club-Erlebnisse anfühlen können.

ALS DU IM MÄRZ 2020 DIE SCHLIESSUNGSVERORDNUNG UNTERZEICHNETEST – HÄTTEST DU GEDACHT, DASS SICH DARAN EIN MUSIKALISCHER STILLSTAND VON NAHEZU 24 MONATIGER DAUER ANSCHLIESST?
Überhaupt nicht. Wir hatten damals die Monate März und April 2020 im Blick. Da sind wir komplett auf Sicht gefahren. Alle. Und wir mussten immer wieder gucken, die Hilfen anpassen und erweitern, um durch diese zwei Jahre irgendwie durchzukommen.

WAS SIND AUS DEINER SICHT DIE (GRÖSSTEN) GESELLSCHAFTLICHEN FOLGEN DES FEHLENS VON LIVE-ERLEBNISSEN?
Die sind immens. Auf ganz vielen Ebenen. Es macht doch etwas mit uns, wenn wir den anderen plötzlich in erster Linie als Ansteckungsrisiko betrachten und auf Abstand halten sollen. Wir müssen einander doch unvoreingenommen begegnen, wenn wir offen und frei miteinander leben wollen. Für die Clubs war diese Zeit ganz besonders hart, weil hier wirklich alles zusammenkommt, was unter Corona nicht geht: Tanzen, eng zusammenstehen, singen… Ich hoffe sehr, dass das Bewusstsein dieses Verlusts jetzt dazu führt, dass wir besonders sorgsam mit kulturellen Orten und Erlebnissen umgehen. Aber ich fürchte schon, dass das nicht so einfach wird, sondern dass wir uns über den Wert gemeinsamer Erlebnisse, über gesellschaftliche Verantwortung und individuelle Vernunft neu werden verständigen müssen. In jedem Fall werden wir die Folgen dieser Zeit nicht durch materielle Kompensation allein wettmachen können.

Club Award 2021; Fotocredit by Charles Engelken

ÜBER DEN CLUB-RETTUNGSSCHIRM SIND IN HAMBURG DIE FIXKOSTEN DER MUSIKCLUBS BIS ENDE 2022 ABGESICHERT: WIE KÖNNEN FINANZIELLE AUSWIRKUNGEN DER CORONA-PANDEMIE FÜR CLUBS AUCH ÜBER DIESES JAHR HINAUS ABGEFEDERT WERDEN?
Wir werden die weitere Entwicklung natürlich sehr genau beobachten und gemeinsam einschätzen müssen, ob die bis dahin geflossenen Corona-Hilfen von Bund und Land sowie die Unterstützungsmöglichkeiten, die wir hier in Hamburg gemeinsam mit der Clubstiftung in den vergangenen Jahren aufgesetzt haben, ausreichend sind, um ein vitales Livegeschehen in den Clubs zu ermöglichen.

WELCHE PERSPEKTIVISCHEN SCHÄDEN IN DER LIVE-BRANCHE ZEICHNEN SICH AUS DEINER SICHT BEREITS JETZT AB? WELCHE MÖGLICHKEITEN SIEHST DU UM DAS VERTRAUEN DER BESUCHER:INNEN WIEDER ZU GEWINNEN?
Bei den Öffnungsschritten der letzten Monate konnten wir feststellen, dass es bei vielen ein Gefühl des Ausgehungertseins gab und es den Wunsch gab, endlich wieder Kultur live zu erleben. Ich bin sicher, dass wir das in den Clubs und bei Konzerten genauso sein wird. Das sind Ganzkörpererlebnisse, die einen dann auch schnell ganz umfangen. Die Erinnerung an das, was war, wird sehr körperlich sein, und wer sie spürt, ist schnell wieder dabei.

DIE LETZTEN ZWEI JAHRE HABEN DAZU GEFÜHRT, DAS SICH IN UNSERER BRANCHE PERSONAL UND FACHKRÄFTE NEU ORIENTIERT HABEN. BEI EINEM REGULÄREN BETRIEB WERDEN UNS DIESE FEHLEN. EXISTIEREN ANREIZE ODER FÖDERUNGEN VON SEITEN DES SENATS UM HIER ZU HELFEN?
Das Problem reicht tiefer, als dass wir es mit einem Programm des Senates würden lösen können. Denn das Ganze ist ja passiert, obwohl es eine Menge an konkreten Unterstützungen gegeben hat. Die Kurzarbeit hat in manchen Bereichen geholfen, Personal und Fachkräfte halten zu können. Zahlreiche Betriebe sind damit auch ganz ordentlich durch die Krise gekommen. Viele Fachkräfte haben aber dennoch die Branche gewechselt, hier insbesondere diejenigen, die nicht fest angestellt waren. Hier ist die Veranstaltungsbranche sicherlich auch in der Verantwortung, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass das attraktive Jobs sind und bleiben. Der Staat kann vor allem da helfen, wo Soloselbstständige nicht ausreichend sozial abgesichert sind und sich deswegen in eine andere Beschäftigung bewegen. Hamburg versucht hier mit einem Antrag in der Arbeits- und Sozialministerkonferenz Verbesserungen zu erreichen. Über den Hamburger Weiterbildungsbonus werden spezielle Qualifizierungsprogramme für Beschäftigte der Musikbranche angeboten. Diese und weitere Maßnahmen werden hoffentlich dabei helfen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten.

IM MPK-BESCHLUSS VOM 24: JANUAR 2022 WURDE DER BEDARF FÜR EINE VEREINHEITLICHUNG BEI ÜBERREGIONALEN GROSSVERANSTALTUNGEN FORMULIERT. DIE STAATS- UND SENATSKANZLEIEN DER LÄNDER TRAFEN HIERZU ANFANG FEBRUAR EINE VEREINBARUNG FÜR ÖFFNUNGSSCHRITTE. ARUM IST EINE SOLCHE GEMEINSAME VORGEHENSWEISE, DIE IN DIE MITTELBARE ZUKUNFT GERICHTET IST NICHT GRUNDSÄTZLICH AUCH FÜR A) OPEN AIR VERANSTALTUNGEN UND B) UNBESTUHLTE INDOOR-VERANSTALTUNGEN VORGESEHEN?
Ich bin schon ganz froh, dass wir nach einer Phase des regulatorischen Flickenteppichs in den letzten Monaten zu mehr Einheitlichkeit zwischen den Ländern gekommen sind. Mein Eindruck ist, dass die Länder auch bei den jetzt bis zum 20. März anstehenden Öffnungsschritten diese Einigkeit finden wollen. Hamburg wird sich auf jeden Fall weiter dafür einsetzen.

DER KOALITIONSVERTRAG VON SPD UND GRÜNEN WURDE IM JUNI 2020 VEREINBART UND BEINHALTET U.A. „EINE GEEIGNETE FREILUFTVERANSTALTUNGSFLÄCHE ZUR VERFÜGUNG ZU STELLEN“ UND DEN LIVE CONCERT ACCOUNT „AUCH IN ZUKUNFT WEITER AUSZUBAUEN UND DURCH DIE NOTWENIDGEN MITTEL ABZUSICHERN“. ZU WANN KANN DIE CLUBSZENE MIT EINER UMSETZUNG RECHNEN?
Die letzten Monate standen sehr im Fokus, der Branche in der Corona-Zeit überhaupt beim Überleben zu helfen. Wir überprüfen dennoch auch uns bekannte bzw. an uns herangetragene Freiflächen auf Eignung und Nutzbarkeit für niedrigschwellige und kostengünstige Live-Kultur-Angebote und haben hier ja auch in der Corona-Zeit Möglichkeiten für Open-Air-Kultur sondiert. Der Live Concert Account, den wir kontinuierlich aufgestockt haben, spielt daneben auch weiterhin eine zentrale Rolle in der Hamburger Spielstättenförderung.

MIT BLICK AUF DIE KLIMAKRISE STEHT DIE NÄCHSTE GROSSE HERAUSFORDERUNG AN. WELCHE ÜBERLEGUNGEN STELLT DER SENAT MIT BLICK AUF DIE NACHHALTIGKEIT FÜR DEN KULTURBETRIEB AKTUELL AN?
Es gibt in dieser Stadt und in ihren Kultureinrichtungen glücklicherweise schon seit Jahren eine Vielzahl an spannenden Ideen, Initiativen und Projekten, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit und Betriebsökologie beschäftigt. Die öffentlichen Kulturunternehmen der Stadt sind den Nachhaltigkeitszielen übrigens auch per Compliance-Richtlinie verpflichtet. Wir sind dazu im ständigen Austausch mit Plattformen wie dem Nachhaltigkeitsforum Hamburg, dem Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit in Kultur und Medien, der paneuropäische Green Music Initiative, den Green Events Hamburg, der AG Musikwirtschaft & Klimaschutz u.v.m. Nachhaltigkeit wird zu einer Selbstverständlichkeit werden müssen, zu etwas, das man nicht zusätzlich macht, sondern das jeden Aspekt des eigenen Handelns und Wirtschaftens prägt. Nur so bekommen wir diese große Aufgabe, die ja die Dimension der Pandemie noch einmal übersteigt, überhaupt bewältigt.

HAST DU NOCH EIN LETZTES WORT AN A) DIE CLUBGÄNGER:INNEN UND B) CLUBBETREIBER:INNEN IN HAMBURG?
Wie so oft halte ich es mit dem großen Bernd Begemann: „Wir werden tanzen“.

ÜBER DIE PERSON
Dr. Carsten Brosda ist seit Februar 2017 Senator der Hamburger Behörde für Kultur und Medien und kommt ursprünglich aus dem Ruhrgebiet. An der Universität Dortmund studierte er Journalistik und Politikwissenschaft. Nach verschiedenen Positionen auf Bundesebene kam er 2011 nach Hamburg und war 5 Jahre lang Leiter des Amts Medien in der Hamburger Senatskanzlei.

WEITERE NEWS