Clubkombinat Hamburg e.V. – AG Awareness & Teilhabe
21.11.2024
Grüner Jäger (1. OG)
Teilnehmendenzahl: 20 Personen aus unterschiedlichen Kulturkontexten (Club, Bar, Vereine)
Referent:innen: Pola (Lila Awareness Leipzig), eve (awer e.V. / Awareness Initiative Leipzig)
Ablauf des Roundtables:
- Begrüßung, Danksagung und Genese durch Anna Lafrentz
- persönliche Vorstellung der Referent:innen und ihren beruflichen Kontexten
- gemeinsamer inhaltlicher Vortrag der Referent:innen zu internen Awarenessfällen und deren Umgang
- Gruppenarbeit zu Fallbeispielen + Präsentation durch Teilnehmende
- Check-Out
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Am 21. November 2024 fand der 8. Roundtable “Interne Awarenessfälle – Hilfestellung und Good Practices” im Grünen Jäger (1. OG) statt. Dazu haben wir zwei Referent:innen eingeladen:
Pola (sie / ihr) ist Gründerin von Lila Awareness. Sie bietet geschulte Awareness-Teams für Veranstaltungen und Festivals an und unterstützt Unternehmen, Organisationen und Kollektive beim Aufbau interner Awareness-Strukturen. Zudem hält sie Workshops zu verschiedenen Awareness-Themen und entwickelt neue Ansätze, um ihrem Team von rund 80 Honorarkräften und Schichtleitungen die Awareness-Arbeit näherzubringen. Neben ihrer Haupttätigkeit macht Pola eine Ausbildung zur systemischen Therapeutin und integriert Kenntnisse wie Bindungsaufbau und psychologische Erstversorgung in ihre Arbeit. Sie lebt in Leipzig, ist jedoch auch häufig in Berlin und Köln tätig, wo sie große Projekte wie den Holzmarkt25 betreut. Ihr Ziel ist es, ihre Arbeit stetig weiterzuentwickeln und Awareness-Themen stärker in der Gesellschaft zu verankern, um so einen gesamtgesellschaftlichen Wandel zu fördern.
eve (they / them) ist eine non-binäre SexualpädagogIn, BodyworkerIn und ReferentIn. They lernt, arbeitet und spricht über Sexualität(en), diskriminierungskritische Praktiken und transformative Bewegungen in Strukturen. Seit mehr als 6 Jahren arbeitet eve im Kontext Awareness, insbesondere auf sexpositiven Veranstaltungen und Festivals. Über den awer e.V. und im Auftrag der Initiative Awareness aus Leipzig bringt they Wissen über Awareness in Clubs, Vereine und Konferenzen, damit diese ihre eigenen Awareness Strukturen aufbauen können. They positioniert sich als weiß, non-binär, neurodivers, able-bodied und als nicht von Klassismus betroffen.
Beide Referent:innen haben in einem theoretischen Teil über die Gründe, die Herausforderungen und Möglichkeiten von interner Awareness gesprochen. Anschließend hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit in Gruppenarbeit an spezifischen Fallbeispielen zu den Themen Sexismus, sexualisierte Gewalt, Ableismus, Rassismus und Transfeindlichkeit Lösungsansätze und mögliche innere Strukturen zu erarbeiten. Im Anschluss wurden alle Handlungsmöglichkeiten präsentiert und von den Referent:innen begleitet. Ein gemeinsamer Check-Out und Kontaktangebote seitens der Referent:innen schloss diesen intensiven Roundtable ab.
WARUM BRAUCHT ES INTERNE AWARENESS-STRUKTUREN?
Orte, an denen gemeinsam gearbeitet wird, sind Räume wo unterschiedliche Perspektiven und Rollenverteilungen aufeinandertreffen, die einhergehen mit gewaltvollen Strukturen. Probleme entstehen dann, wenn es zu wenig Zeit für die Installation von Strukturen gibt, so dass Machtpositionen von Entscheidungsträger:innen ausgenutzt werden ohne dass eine schützende Struktur vorhanden ist. Zudem ist in einem Teamgefüge der Mechanismus des “Täterschutzes” stärker ausgeprägt aufgrund von Ängsten, Scham und möglichen beruflichen Konsequenzen. In den meisten Fällen muss Gewaltausübung von Betroffenen bewiesen werden und stellt somit ein Team vor einen Loyalitätskonflikt innerhalb der herrschenden Machtpositionen in einem Unternehmen/beruflichen Raum.
Interne Awareness-Strukturen ermöglichen eine betroffenenorientierte Perspektive und eine gemeinsame Verantwortungsübernahme. Gewalt ist kein individuelles Problem, sondern ein strukturelles, welches gesellschaftlich vorgelebt und adaptiert wird. Daher erfahren gewaltausübende Menschen aufgrund gesellschaftlicher Legitimation eher Schutz, als die Betroffenen. Durch interne Awareness-Strukturen kann eine gemeinsame und teamzentrierte Aufarbeitung ermöglicht werden und so auch präventiv funktionieren.
WORIN BESTEHEN DIE HERAUSFORDERUNGEN FÜR INTERNE AWARENESS-STRUKTUREN?
Interne Awareness-Fälle sind vielschichtig und beeinflussen zunächst die Stimmung und Harmonie in einem Team. Jede einzelne Person muss sich ihrer eigenen Grenzen bewusst sein und diese auch gegenüber Machtpositionen und Entscheidungsträger:innen verteidigen. In vielen Fällen ist die Angst vor Konsequenzen – sowohl rechtlicher (Kündigung) als auch psychosozialer (Ausgrenzung) – zu groß, als dass Grenzen gewahrt werden und solidarisches Verhalten durch andere Teammitmenschen möglich ist. Vor allem in Bezug auf Lagerbildung innerhalb eines Teams und einer möglichen Täter-Opfer-Umkehr („ich kann mir nicht vorstellen, dass die Person so etwas tut”) erscheint eine betroffenenorientierte Struktur als schwer umzusetzen. Befangenheit von Betroffenen und Privilegien von Entscheidungsträger:innen lassen interne Awareness-Strukturen als größte Herausforderung für ein Teamgefüge erscheinen. Zudem kommen noch Probleme, wie monetäre Mittel für die Entwicklung und Installation von internen Awareness-Strukturen sowie vorherrschende betriebliche Hierarchien (Entscheidungsträger:innen vs. Lohnarbeitende) hinzu.
WELCHE MÖGLICHKEITEN GIBT ES, UM INTERNE STRUKTUREN GEMEINSAM ZU ENTWICKELN?
Die Referent:innen haben als Möglichkeit eines strukturgebenden Prozesses den Transformative Justice Prozess erläutert.
„Transformative Justice hat das Ziel Menschen, die Gewalt erfahren, eine unmittelbare Sicherheit sowie langfristig angelegte Heilungs- und Wiedergutmachungsprozesse zur Verfügung zu stellen, indem gewaltausübende Personen in und durch ihre Umfelder zur Verantwortungsübernahme bewegt werden.”1
Voraussetzung für einen transformativen Prozess ist die kritische Selbstreflexion aller Menschen im Team, die sowohl Betroffene als auch gewaltausübende Personen sein können. Dabei steht die Erkenntnis im Mittelpunkt, dass nicht Personen an sich gewalttätig sind, sondern die Gesellschaft als strukturgebende Instanz eine gewalttätige ist. Somit sollte nicht als einziger Lösungsansatz der Ausschluss von Personen stattfinden und eine Cancel-Kultur innerhalb interner Awareness-Strukturen ausgeschlossen werden. Durch Ausschluss aus dem Team wird demnach nur das strukturelle und machtausübende Verhalten reproduziert und kann nicht als Lösung für strukturelle Probleme akzeptiert werden.
Der Transformative Justice Prozess beinhaltet drei strukturgebende Elemente, die als Hilfestellung gut funktionieren können:
- Interne Awareness-AG (Arbeitsgruppe) aus unterschiedlichen Gewerken und Hierarchie-Ebenen gründen, die Entscheidungsmacht und Handlungsbefugnis erhält. Dadurch wird Befangenheit innerhalb des Teams vermieden. Es ist möglich diese Arbeitsgruppe durch geschulte Personen innerhalb des Teams aufzustellen oder auch durch externe Hilfestellung durch beratende Personen.
- Unterstützer:innen-Gruppe, die ausschließlich den Schutz der Betroffenen als Aufgabe inne hat.
- Umfeld-Gruppe, die sich um den Prozess mit der gewaltausübenden Person kümmert und Schnittstelle zur Unterstützer:innen-Gruppe ist.
Die Unterstützer:innen- und die Umfeld-Gruppe sind in einem regelmäßigen Austausch und Check Up, so dass Lagerbildung und Misstrauen innerhalb des Teams vermieden werden können.
WIE KÖNNEN WIR DIESE PROZESSE INDIVIDUELL AN UNSER TEAM ANPASSEN?
Es gibt mehrere Wege, um sich internen Awareness-Strukturen zu nähern. Ein Sensibilisierungsworkshop für das Team ermöglicht es beispielsweise einen eigenen Weg zu finden, wie ‘aware’ Prozesse in die ‘hauseigenen’ Strukturen passen können. Zudem bekommt das Team einen sicheren Raum um Ängste, Scham und Blockaden anzusprechen und Entscheidungsträger:innen können aktiv Macht an die interne Awareness-AG abgeben. Diese Workshop-Formate bieten auch die Möglichkeit Mechanismen festzulegen, die eine kontinuierliche Weiterentwicklung innerhalb des Teams absichern. So wird nachhaltig eine Struktur geschaffen, die nicht statisch ist und im engen Kontakt mit dem Teamgefüge bleibt.
WAS KÖNNEN WIR TUN, WENN ES BEREITS INTERNE AWARENESSFÄLLE GIBT?
Oft sind interne Awarenessfälle der Auslöser, um sich mit den internen Strukturen zu beschäftigen, diese zu hinterfragen und nach Lösungsansätzen zu suchen. Eine wichtige Voraussetzung dabei ist die Dokumentation des Falls durch eine oder mehrere Person des Teams, um diese für weitere Aufarbeitungen nutzen zu können. Sofern es noch keine internen Strukturen als Lösungsansatz gibt, können Vorfälle mit Supervision, einer Fallbesprechung mit einer externen geschulten Person oder auch Intervision (interne Fallbesprechung innerhalb des Awareness-Teams) aufgearbeitet werden.
WO FINDE ICH BERATUNG UND SUPERVISION FÜR MEIN TEAM?
Initiative Awareness Leipzig – https://www.initiative-awareness.de/informieren/anlaufstellen
Awer e.V. – awer_leipzig@riseup.net – https://www.instagram.com/awer_le/
Lila Awareness – https://www.instagram.com/lilaawareness/ lila-awareness@proton.me
Kontakt zu tba | Clubkombinat
awareness@clubkombinat.de
Mehr zum Thema Awareness unter www.clubkombinat.de/awareness.
1Zitiert aus: https://www.transformativejustice.eu/de/was-sind-community-accountability-kollektive-verantwortungsuebernahme-transformative-justice-transformative-gerechtigkeit/
Der Roundtable wurde gefördert durch die Initiative Musik gemeinnützige Projektgesellschaft mbH mit Projektmitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie durch die Behörde für Kultur und Medien Hamburg.