Statement zum Auftakt für den Runden Tisch „Nachtleben und Nachbarschaft“ am 06. Mai 2024


Hamburg hat in der Vergangenheit in puncto Kulturflächen viel geleistet: Gängeviertel, Victoria Kaserne, MS Stubnitz, Moloch, Südpol, Deichtorkasematten oder zuletzt die Bemühungen um den Erhalt des Hafenbahnhofs gegenüber heranrückender Wohnbebauung sind einige der Positivbeispiele für den Erhalt bzw. die Errichtung von Musikspielstätten.

Jedoch ist in der Club-Statistik der letzten 10 Jahre abzulesen und festzustellen: Die Musikstadt Hamburg verliert schneller bezahlbare Kulturräume, als das neue Räume gefunden und als Versammlungsorte ertüchtigt werden. Einige Gründe sind:

  • Mangelnde Flächenverfügbarkeit und der Wettbewerb mit anderen, oft finanzstärkeren Nutzungen
  • Heranrückende Wohn- und Hotelbebauung
  • ein Gewerbemietrecht, das kaum Schutz für die Nutzer:innen bietet
  • die langen Planungsvorläufe bei Stadtentwicklung und die Nicht-Involvierung von Kulturschaffenden
  • Musikschall und Besucher:innenverkehre wirken gegenläufig zur schlafbedürftigen Mehrheitsgesellschaft

Um den Status Quo des Nachtlebens zu erhalten, sind daher neue Instrumente und noch intensivere Anstrengungen nötig. Auch die zeitliche Komponente spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Wir begrüßen daher sehr die Einrichtung des Runden Tisches „Nachtleben und Nachbarschaft“ und die heutige Auftaktsitzung und setzen darauf, dass in den unterjährigen Arbeitsgruppen neben kurzfristigen Noteinsätzen für akute Raumnöte auch strukturelle Hebel identifiziert werden, die langfristig eine kulturelle Stadtentwicklung begünstigen. Neben dem Fokus auf die Hamburger Livemusikkultur sollten gemäß der Allianz #wirbrauchenräume auch andere kleinteilige Orte, wie Proberäume, Tonstudios, Gewerbehöfe, Raum für Spielorte freier darstellender Künste und weitere Freiräume für kreative Nutzungen in das Blickfeld genommen werden. Zusammen bilden sie das Ökosystem, das u.a. auch für die nötige Standortattraktivität für Arbeitgeber in Hamburg sorgt.

Die gute Nachricht: Hamburg kann dabei auch aus anderen Städten lernen und Passendes übernehmen:

  • Schnellere Sanierungsverfahren für Schallschutzmaßnahmen (wie z.B. in Berlin)
  • eine Kulturentwicklungsplanung (KEP) und Kulturraummanagement (wie z.B. in Köln)
  • eine Free Open Air Kultur u.a. für Veranstalter und Behörden: vereinfachte Anmeldungs- und Genehmigungspraxis (wie z.B. in Leipzig) oder eine One-Stopp-Anlaufstelle für Veranstaltungsanmeldungen (wie in Mannheim)
  • Aufsetzung eines Kulturkatasters (wie in Leipzig)
  • Verbindlichkeit zur Nutzung des Club-Katasters, z.B. in Verbindung mit einem „Agent of change“-Ansatz (wie z. B. in San Francisco). Dort müssen Projektentwickler:innen, die einen Neubau vorschlagen, an einer Anhörung vor eine Kommission teilnehmen. Bei drohender Kulturverdrängung kann ein Veto-Recht diese Vorhaben stoppen. So könnten auch Kompensationsauflagen für Investor:innen in die Vorbescheidsverfahren integriert werden.

Hier und da muss aber auch Neuland betreten und Dinge ausprobiert werden:

  • Für eine neue Bodenpolitik: Einführung einer Vorkaufsrechtsverordnung und Vorkaufsrechte ausüben
  • Anpassung bei der Einbindung der BKM (Referat Musik) bei TÖB-Verfahren
  • Verfahrensklärung für Flächenmeldungen öffentlicher Unternehmen
  • Zur (Neu)Ansiedlung und Übernahmen von Clubs: Anpassung von B-Plänen (insbesondere in Nähe der Reeperbahn)
  • Für kollektive Nutzungen geeignete Freiluftveranstaltungsflächen zur Verfügung zu stellen
  • Möglichkeiten zur direkten Einflussnahme der Behörde für Kultur und Medien auf städtische Eigentümer/Vermieter von Kultur-Immobilien (z.B. Sprinkenhof, SAGA)
  • Anpassung der Wirtschaftsförderungsgrundsätze u.a. für Möglichkeiten des Unterwertverkaufs
  • Eindämmung der Kioskflut und der Abverkauf von Alkohol, ohne die Pflicht Gaststättenauflagen (z.B. für WC-Anlagen) einzuhalten
  • Im Rot/Grünen-Koalitionsvertrag von 2020 ist neben anderen Punkten auch dieses Vorhaben vereinbart:
    Kultur und Soziales sollen bei der Stadtentwicklung zu einem verbindlichen Teil der Planungen gemacht werden. In allen Stadtentwicklungs- und Neubauvorhaben sollen verbindliche Vereinbarungen über kulturelle und soziale Flächen herbeigeführt werden, an denen geprobt, gespielt und Neues ausprobiert werden kann.“
Fazit

Hamburg zielt bislang unter dem Schlagwort „Kreativwirtschaft“ zu eng und direkt auf einen monetären Output. Bei kulturellen Aktivitäten jenseits des Etablierten entsteht der wirtschaftliche Nutzen erst über einen längeren Zeitraum. Es ist an der Zeit, dass die Stadtentwicklungspolitik den Wert kreativer Kulturräume in den Blick nimmt und zur Chef:innensache erklärt.

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