Im Club mit: Tocotronic


Rick, in der Kleinraumdisko stehst du regelmäßig hinter dem DJ-Pult. Was macht den Reiz am Auflegen auf?

Rick McPhail: Die Möglichkeit, Musik anderer Leute zu hören! Ich höre Zuhause nicht mehr so viel Musik, weil ich meisten selber an Songs bastele oder probe. Rausgehen, auflegen und dabei etwas trinken, ist einfach schön. Ich mache das eher für mich selbst, als für das Publikum. Was ich auflege, ist auch ziemlich speziell.

Was legst du auf?

Bei „a.o.r., alles klar?“ spiele ich 70ies Rock, Classic Rock und Soft Rock, Bands wie Steely Dan, Fleetwood Mac – zusammen mit Joachim Schaake, dem Betreiber der Kleinraumdisco. Der Abend ist immer aufgemacht wie die Radio-Sendungen aus den Siebzigern, mit denen ich in Amerika aufgewachsen bin. Ich habe einen Sampler mit Jingles, außerdem gibt es ein paar wiederkehrende Elemente: Bei „Triple Zeppelin at 11″ spielen wir drei Led-Zeppelin-Songs und bei „Half a 12 at 12″ eine ganze Seite von einer Platte des jeweiligen Featured Artist an dem Abend. Dazwischen moderiere ich, und ich habe ein umgebautes Telefon: Wenn jemand einen Song-Wunsch hat, muss er durch das Telefon mit mir sprechen. Das Publikum wird also Teil der Show.

Gibt es eine Platte, die immer in deinem Plattenkoffer ist?

Einige. Billy Joel, Fleetwood Mac, Elton John und Steely Dan habe ich eigentlich immer dabei.

Wenn du selbst nicht auflegst, wo trifft man dich in Hamburg?

In der Kleinraumdisko oder in der Mutter – vor allem auf dem Weg nach Hause. Für Konzerte bin ich in letzter Zeit öfter im Hafenklang oder im Komet. Früher habe ich oft nicht mitgekriegt, wenn Konzerte waren, aber dank Facebook ist das viel leichter geworden.

Du bist 1999 nach Hamburg gekommen. Mit welchem Laden verbindest du die meisten Erinnerungen?

Wahrscheinlich mit der Mutter. Die wurde aufgemacht, kurz nachdem ich nach Hamburg gezogen bin, und damals war sie einfach der Treffpunkt für alle Indie-Musiker, von den Tocos bis zu den Sternen. Anfangs haben da sogar Leute aufgelegt und es gab Lesungen.

Wie hast du als Exil-Amerikaner die Hamburger Clublandschaft wahrgenommen?

Ich bin von San Francisco zuerst nach Wuppertal gezogen, das war ein ziemlicher Schock. Danach habe ich eineinhalb Jahre in Köln gelebt. Dort waren die Leute viel aufgeschlossener, aber das war damals die Zeit von Minimal-Techno, und ich war noch nie Techno-Fan. Wegen meiner Freundin bin ich dann nach Hamburg gekommen. Auf einmal gab es eine richtige Indie-Szene, das war echt toll.

Was hat sich seitdem verändert?

Ich würde sagen die Clublandschaft ist hier immer noch sehr gesund und es gibt genug gute, kleine Clubs. Aber natürlich ist die Gentrifizierung ein Problem. Sehr schade finde ich zum Beispiel die Geschichte der Schilleroper. Weil die Nachbarn sich beschwert haben, steht dieses schöne Gebäude jetzt leer. Das ist etwas, was ich sowieso nicht verstehe: Die Leute kaufen sich eine teure Eigentumswohnung mitten auf dem Kiez und beschweren sich dann über den Krach der Clubs und Bars.

Wenn du ab morgen Kultursenator wärst, was würdest du ändern?

Das ist schwierig als Amerikaner. Man merkt, dass es hier in Deutschland eine Trennung von E- und U-Musik gibt. Unterhaltungsmusik wird kaum gefördert, während in ernste Musik oder auch in Theater echt viel Geld gesteckt wird. Das finde ich ein bisschen unfair. Andererseits: In Amerika gibt es gar keine Förderungen vom Staat. Hier gibt es ja wenigstens ein bisschen was.

Welche neuen Hamburger Bands sollte man unbedingt auf dem Schirm haben?

Ilgen-Nur, die gerade mit uns auf Tour war, finde ich total super. Endlich mal wieder ein junger Mensch, der den schönen alten Indie-Rock feiert! Swutscher finde ich auch gut. Die Jungs haben noch mehrere gute Nebenprojekte, zum Beispiel Sick Hyenas.

Mit Tocotronic habt ihr über die Jahre etliche Shows in Hamburg gespielt. Welche wirst du nie vergessen?

Puh, da gibt es nicht bloß ein einziges. Wir haben ein paar sehr gute Konzerte in der Roten Flora gespielt. Ich finde es zum einen gut, die zu unterstützen, und zum anderen macht es immer Spaß, mal wieder in so kleinen Läden zu spielen, wo man das Publikum wirklich sehen kann.

Was macht denn einen guten Club für dich aus?

Ein Raucherraum (lacht). Außerdem sollte es Jever geben, denn das ist das einzige Bier, von dem ich keinen Kater bekomme. Die Musik ist natürlich wichtig. Ansonsten mag ich es, wenn’s ein bisschen schmuddelig ist, aber ich habe auch kein Problem damit, in die Sporthalle zu gehen, wenn die Band mich interessiert. Mit solchen Läden bin ich in Amerika aufgewachsen, denn unter 21 darf man dort auf so gut wie keine Club-Konzerte gehen. Von daher haben junge Leute es hier echt gut.

Tocotronic feiern dieses Jahr 25-jähriges Bandjubiläum. Mal angenommen ihr würdet eine Geburtstagsgala organisieren, wo würde sie stattfinden und mit wem?

Ich höre im Moment viel Dinosaur Jr. – also vielleicht die. Veranstalten würde ich es im Uebel & Gefährlich oder im Molotow. Als wir da das letzte Mal gespielt haben, war das sehr schön.

Bei welchem Konzert würdest du im Juni gerne auf der Gästeliste stehen?

Ich bin großer Fan von Kim Deal, deswegen würde ich am 3. Juli sehr gerne zu The Breeders in der Fabrik gehen. Ich liebe ihre Stimme. Am 4. Juli würde ich mir noch die Oh Sees im Uebel & Gefährlich angucken. Die haben einen wahnsinnigen Output und machen echt zwei Platten pro Jahr, aber die sind auch alle gut. Außerdem sollen die live sehr viel Energie haben. Und dann würden mich noch Iron Reagan am 11. Juli im Monkeys interessieren, die machen sehr klassischen Thrash Metal.

Hast du noch ein letztes Wort an die Hamburger Clubgänger?

Geht mehr auf kleine Konzerte!


ZUR BAND

1993 von Dirk von Lowtzow, Arne Zank und Jan Müller gegründet, wurden Tocotronic mit ihrem Debütalbum „Digital ist besser“ schnell zum Aushängeschild der „Hamburger Schule“. Rick McPhail, der ursprünglich aus Amerika stammt, stieß 2000 als Live-Musiker zur Band und wurde vier Jahre später offizielles Mitglied. Er ist der einzige aus der Band, der nach wie vor in Hamburg lebt. Anfang des Jahres veröffentlichten Tocotronic ihr zwölftes Studioalbum und erreichten damit zum zweiten Mal in der Bandgeschichte Platz 1 in den deutschen Charts.


ZUR MUSIK


„Ich erzähle dir alles / Und alles ist wahr“, singt Dirk von Lowtzow in „Electric Guitar“, und liefert damit die perfekte Überschrift zum neuen Tocotronic-Album: „Die Unendlichkeit“ handelt von seiner frühen Kindheit, seinem Umzug nach Hamburg und den Anfängen der Band, von der ersten Liebe, Einsamkeit, dem Tod und von Lowtzows Flucht nach Berlin. Auch musikalisch folgt das Album einem klaren Konzept: Jedes Stück weist Referenzen zu der Zeit auf, in der es spielt – von den Beatles-Songs der Kindheit über 80’s-Gitarrenpop bis zu Progressive Rock. „Hey Du“ und „1993″ poltern wie die frühen Tocotronic und „Bis und das Licht vertreibt“ versprüht einen Hauch „K.O.O.K.“.


TOCOTRONIC live

Datum: 04. August 2018 Ort: A Summer’s Tale Festival, Luhmühlen

Tickets: ab 49,00 Euro

Infos: www.asummerstale.de

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