Im Club mit: Jens Gottschau (Hanseatische Materialverwaltung)


Leicht verborgen im Oberhafen zwischen Klinkerhallen und Bahnstiegen mit einer wundeschönen Außenfläche bietet die Hanseatische Materialverwaltung Raum für Konzerte, Talks und Workshops.

Die Hanseatische Materialverwaltung ist zuallererst ein gemeinnütziger Fundus, der ausrangiertes Material, hochwertige Requisiten und Bühnenbilder großer Theater und Filmsets rettet. Dieses wird dann wieder kreativen Projekten zur Anmietung oder zum Kauf zur Verfügung gestellt. Nach und nach fanden an diesem opulenten und verspielten Ort immer mehr (sub)kulturelle Veranstaltungen statt – sodass er nun beides ist, eine Schatzkammer für Kreativschaffende und eine sehr besondere Spielstätte.

Wir haben mit Geschäftsführer Jens Gottschau und seinem Team über die Möglichkeiten gesprochen, die sich ihnen mit der ehemaligen Lagerhalle als Fundus geboten haben und wie es derzeit um die Hanseatische Materialverwaltung bestellt ist.

Ihr feiert gerade 10 Jahre Hanseatische Materialverwaltung. Wie ging es damals los?
„Durch eine ziemlich folgenreiche Verknüpfung glücklicher Zufälle: Ich hatte als freischaffender Künstler schon sehr lange den Bedarf an einem zentralen Lager für günstiges, wiederverwertbares Baumaterial erkannt und ein Konzept in der Schublade. Meine Freundin hat mich dann Petra vorgestellt, die als Bühnenbildnerin vor allem bei Werbefilmen Zeugin der unglaublichen Verschwendung und dem Wegwerfwahnsinn der Branche wurde und den Bedarf für ein solches Lager somit aus der anderen Perspektive kannte: Weitergeben statt entsorgen.
Gleichzeitig bakam ich den Tipp, dass die Ausschreibung der Hallen des recht neuen “KreativQuartier Oberhafen” sich in den letzten Zügen befände und ich die Idee doch unbedingt einreichen solle. Petra und ich hatten dann noch genau zehn Tage, um unser Konzept präsentabel auszuarbeiten – samt Kalkulationen, CI und vielen Visionen. Und tatsächlich kam die damals in Europa ganz neue Idee – ein ähnliches Konzept gab es damals nur in New York – gut an, und einige städtische Organe fanden sich zu einer Startfinanzierung zusammen. Die reichte zwar hinten und vorne nicht, aber mit ganz viel Liebesmühe und viel Zuspruch und sofortiger (Material-)Spendenbereitschaft der Kulturinstitutionen öffneten wir am 23. Mai 2013 die Rolltore zu unserer Fundushalle.“

Fotocredit: Gerhard Kühne

Für alle, die bisher noch nicht bei Euch waren, was erwartet sie?
„Es ist toll Menschen zu beobachten, die zum ersten Mal den Fundus betreten. Meistens klappt ihnen die Kinnlade runter und sie stehen erst einmal wie angewurzelt da und lassen den Blick schweifen. Es ist, als würde man ein Wimmelbild betreten, das von Kuriositäten nur so strotzt. Hinter den Glitzerpflanzen liegt das Blumenmeer über dem riesige Schmetterlinge fliegen. An der Decke schwebt ein Zeppelin in dem Pinguine ihre Runde drehen. Ein Flamingo steht neben einem 150 Jahre alten Sofa auf dem eine Meerjungfrau sitzt, die gerade zu dem Telefon mit Wahlscheibe rüberschielt, als wollte sie jemanden anrufen und so weiter. Wir haben viele ausgefallene Requisiten meist aus abgelaufenen Theaterstücken, aber auch eine Menge recht alter Antiquitäten aus Privatspenden. Das lässt sich schwer beschreiben, das muss man gesehen haben.“

Eure Räume wandeln sich aufgrund des wechselnden Fundus ständig. Welche außergewöhnlichen Stücke durftet Ihr beheimaten?
„Derzeit weidet das Skelett eines Drachen an einem Riesenteller, der 6,50m breit und mit lauter Discokugeln garniert ist. Das ist der alltägliche Wahnsinn. Da ist es natürlich schwer, etwas besonders Außergewöhnliches zu benennen. Besonders beliebt war unser Fliewatüüt (kurisoses Fortbewegungssmittel aus Hubschrauber, Boot und Auto aus dem Kinderfilm „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“), welches wir nach den Dreharbeiten zum Film bekamen. Aber oft sind es gar nicht die Requisiten selber, sondern die Geschichten, die sie erlebt haben und die man ihnen nicht unbedingt ansieht wie beispielsweise alte Koffer, die um die halbe Welt gereist sind oder ein 100 Jahre altes Clownskostüm aus den 20er Jahren, der Gehstock vom Uropa oder andere schöne Erbstücke.“

Auf welche besonders schönen Erinnerungen von Konzerten & Veranstaltung blickt Ihr zurück?
Wow, viele! Wir haben von Anfang an jährlich zwei große Feste gefeiert, das Frühlingsfest und den Winterbasar, und die waren immer große Highlights. Dafür holen wir deko-mäßig immer alles raus, was der Fundus zu bieten hat, unsere DJ-Freund:innen spielen tolle Musik, es gibt Requisiten-Flohmarkt, Kinderprogramm und leckeres Essen.
Mit Hilfe von Corona-Fördergeldern haben wir unsere Fläche noch weiter ausbauen können, mit der Idee, eine Ausweichfläche für Spielstätten zu bieten, die an ihrem bisherigen Standort in eine Notlage gekommen sind und dort aktuell nicht mehr veranstalten können. Ab da haben wir richtig losgelegt und einerseits an andere Veranstalter:innen vermietet, andererseits selbst viel umgesetzt. Der große Hit war wahrscheinlich das Festival “Hans Resonanz”, was wir über drei Wochen im August 2021 mit dem Ensemble Resonanz zusammen kuratiert und durchgeführt haben. Die Musik reichte von klassisch bis elektronisch und hat unglaublich viele Menschen und Szenen miteinander verbunden. Fast jeder Tag war ausverkauft und die Stimmung so gut – irgendwie wie ein Sommermärchen, in einer ja sonst ziemlich bedrückenden Zeit“.

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Worauf freut Ihr euch in den kommenden Monaten am meisten?
„Wir haben gerade zwei Riesenprojekte am Laufen: Zum einen werden wir 10 Jahre alt und feiern ein großes, dreitägiges Fest (26. bis 28. Mai). Da gibt’s viel Musik und Programm, Essen, einen Requisitenmarkt und ganz viel Funduszauber. Zum anderen haben wir eine ziemlich geniale Ersatz für unsere Veranstaltungsfläche während der Zeit der Sanierung gefunden: Die oberste Etage des ehemaligen Karstadt-Sport-Gebäudes samt Dachterrasse. Da haben wir in mit kurzer Anlaufzeit das ehemalige Kaufhaus in einen zauberhaften Ort verwandelt. Ende April sind wir dort mit Barbetrieb und Veranstaltungen an den Start gegangen. Wir bauen und basteln und schmücken aber noch eifrig weiter… Ein Nachtclub kann das aus strukturellen Gründen nicht sein, aber die unterschiedlichsten anderen schönen Kulturveranstanstaltungen kribbeln uns schon in den Fingern.“

Welche Herausforderungen stellen sich Euch mit Blick auf das Jahr 2023?
„Der Auszug aus einem großen Teil unserer Flächen im Oberhafen wegen der Kernsanierung der alten Hallen – eine Mamutaufgabe! Im Tagesgeschäft merken wir aber auch sehr genau wie schwierig die Gesamtsituation der Kulturbranche ist – steigende Preise, angepasste Fördertöpfe. Da bleibt oftmals einfach kein noch so kleines Budget um sich Deko bei uns zu leihen.“

Ihr seid Mitunterzeichner:innen des Aktionsbündnisses #wirbrauchenräume. Warum ist diese Initiative für Euch aktuell so bedeutungsvoll?
„Wir wussten von Anfang an, dass uns irgendwann eine Sanierung bevorstehen würde und unsere sehr geringe Miete steigen würde. Vor allem aufgrund der mittlerweile in die Höhe geschossenen Baukosten (die über die Mieteinnahmen amortisiert werden sollen) ist diese Summe nun angewachsen. Wir müssen also quasi von jetzt auf gleich mehr an Miete aufbringen. Das ist nicht zu schaffen für ein gemeinnütziges Unternehmen, was ohnehin nur geradeso und mit viel Liebesmühe schwarze Zahlen schreibt.“

Wir sind auch der Meinung, dass wir noch viel mehr bieten könnten – zum Beispiel einen Technik- und einen Kostümverleih – wenn wir mehr Platz hätten. Dieser wird uns aber nicht gewährt, auch weil er einfach sehr rar ist. In der hiesigen Subkultur haben viele Probleme dieser Art. Wir bekommen davon viel mit, weil es genau diese Leute sind, die bei uns leihen und davon berichten. Manchmal sind wir auch live dabei, wenn wieder ein Kulturort schließt und wir dort für den Fundus Requisten und Materialien retten dürfen. Das ist ganz schon bedrückend!

Fotocredit: Franziska Holz

Mit dem Retten und der Weitergabe von Theatermaterialien unterstützt ihr die nachhaltige Verantwortungswirtschaft in einer besonderen Weise. Werden ihr hierbei von staatlicher Seite unterstützt?
„Immer mehr – aber insgesamt viel weniger, als sinnvoll nötig wäre. Ohne die staatlich/städtische Anschubfinanzierung wäre die HMV nie aus der Taufe gehoben worden, das ist klar. Es gab aber die eindeutige Ansage, dass wir nach deren Auslaufen finanziell auf eigenen Beinen stehen müssen. Das haben wir (bis zur Pandemie) aus eigenen Stücken geschafft. Jedoch viele Jahre mit viel zu niedrigen Gehältern, vielen Ehrenamtlichen und weil wir weitere Geschäftszweige eröffnet haben. Die Vermietung unserer Flächen und große Ausstattungsaufträge sowie unsere Feste sind ein wichtiger Bestandteil unserer Finanzierung. Wenn es aber eine institutionelle Förderung gäbe, wie es zum Beispiel bei der Material for the Arts in New York der Fall ist, könnten wir uns mehr auf den gemeinnützigen Betrieb konzentrieren und die Materialien günstiger oder sogar umsonst rausgeben, wodurch der Fundus seine nachhaltige und soziale Mission viel effektiver erfüllen könnte.“

Was würdest Du als erstes/am dringendsten unternehmen, wenn Du Kultursenator wärst?
„Eine sehr schwierige Frage. Ich würde für eine Erhöhung des Kulturetats eintreten, um die Arbeitsbedingungen für die freie Szene zu verbessern! #wirbrauchenräume“

Habt Ihr noch ein letztes Wort an die Clubgänger:innen in Hamburg?
„Liebe Clubgänger:innen, wie schön, dass wir uns wieder zu Tanzlustbarkeiten zusammenfinden können! Zum Beispiel zum 10ten Jubiläum der Hanseatischen Materialverwaltung vom 26. – 28. Mai 2023 im Oberhafen. Wir feiern diesmal Samstag und Sonntag – Montag ist Feiertag 🙂 Tagsüber wird es auch schön, besonders wenn ihr Kindern habt. Und kommt uns doch mal IM EXIL auf dem Jupiter besuchen. Donnerstag bis Sonntag – Die Dachterasse ist nice!“

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