Im Club mit: Herrenmagazin


Eure kommende Tour trägt den Titel „11 Jahre Atzelgift“. Habt ihr das runde Jubiläum eures Debütalbums verschlafen?

Deniz Jaspersen: Nein! Die Jubiläumstour war letztes Jahr schon komplett gebucht, aber dann kam Nachwuchs bei Paul dazwischen, geplant ungeplant, und wir mussten alles wieder absagen. Jetzt ist das Kind da und wohlauf, also holen wir die Tour einfach nach. Ist ja eigentlich auch egal, wann man feiert.
Rasmus Engler: Zumal bei dem Album damals schon der Running Gag war, dass es von Seiten der Plattenfirma im Wochentakt verschoben wurde, so dass wir auf die Ankündigungs-Aufkleber irgendwann „unter Umständen“ geschrieben haben…

Eigentlich hattet ihr 2016 eine unbestimmte Pause angekündigt. Warum jetzt doch wieder Herrenmagazin?

Jaspersen: Weil wir uns gut verstehen, gerne zusammen auf Tour gehen und das jetzt völlig ohne Druck so machen können. Das ist ein sehr luxuriöser Zustand.

Wie fühlt es sich an, sich so intensiv mit den Songs von damals zu beschäftigen?

Engler: Ich finde es erstaunlich, dass die Hände sich besser erinnern als der Kopf, dass man in manchen Fällen einfach nur die Arme machen lassen muss.
Jaspersen: Mir macht das große Freude. Es ist schön, sich damit zu beschäftigen, wie man früher getextet hat und was man gesagt hat. Unsere Texte waren ja teilweise wahnsinnig unkonkret und schwammig. Ich finde das aber im Nachhinein ganz schön. Vielleicht sollte ich das wieder machen und noch viel schwammiger sein.

Ihr habt Herrenmagazin 2004 gegründet. Welche Läden und Clubs waren besonders wichtig für euren Werdegang?

Jaspesen: Auf jeden Fall die Weltbühne – da haben wir damals die Release-Party für unsere EP gefeiert. Ich weiß noch, dass Reimer Bustorff da war und ich wahnsinnig aufgeregt war, weil Kettcar damals das größte für mich war. Danach haben wir mehrmals in der Astra Stube gespielt und auch zweimal unseren „Gipfel der Unvernunft“ dort veranstaltet. Und wir waren viel im Grünen Jäger und dem Eldorado.

War es schwer damals Konzerte zu bekommen?

Engler: Wir haben uns nicht so wirklich darum gekümmert, wir haben einfach immer nur auf Anfragen reagiert.
Jaspersen: Ich sage immer entweder man ist als Band sehr gut vernetzt, oder sehr talentiert oder sehr fleißig. Wir waren sehr vernetzt (lacht). So hat sich das alles recht schnell ergeben. Das war aber auch eine andere Zeit.

Inwiefern?

Jaspersen: Unser allererstes Konzert war an ehemaligen HWP – damals haben Bands noch auf Partys von Universitäten gespielt, das ist glaube ich heute nicht mehr denkbar.
Engler: Ich glaube der Unterschied von 1996 zu 2006 ist geringer gewesen als der von 2006 zu heute. Weil man diese selbstgemachten Image-Kampagnen überhaupt nicht hatte und brauchte. Die Szene war auch besser vernetzt, auf einer am Tresen-sitz-Ebene. Man hat sich nicht auf MySpace oder Studi-VZ getroffen, sondern in der Mutter, im Eldorado oder der Kleinraumdisco. Man kannte die Leute nicht, weil sie in irgendeiner Funktion waren, sondern weil man mit ihnen saufen gegangen ist.

Könnt ihr euch noch an euren ersten Club- oder Konzertbesuch in Hamburg erinnern?

Jaspersen: Das war entweder Torfrock oder John Denver im CCH. Meine ersten Konzerte als Jugendlicher waren dann Bad Religion und danach Tocotronic und Fettes Brot in der Fabrik.
Engler: Mein erstes Konzert war, als ich in der Stadt war, um mich zum Zivildienst vorzustellen, und zwar in Snoopys Eck. Das ist heute ein Parkplatz in der Stresemannstraße, damals war es eine von einem ziemlich unseriösen, griechischen Ehepaar geführte Saufkneipe. Thees Uhlmann hat da um die Ecke gewohnt und Konzerte veranstaltet. Und weil ich bei ihm geschlafen habe, hat er mich mitgeschleppt. Ich glaube es war Graf Zahl.

Wo trifft man euch heute?

Jaspersen: Ich bin oft im Molotow oder in Kneipen wie dem Familieneck und dem Quer. Außerdem gehe ich als Craftbeer-Fan gerne ins Galopper des Jahres im Haus 73. Wir gehen aber auch viel essen.
Engler: Genau, zum Beispiel im Bistro Carmagnole. Für Konzerte gehe ich am liebsten in die Schute in Wilhelmsburg, weil da alle Bands unterkommen, die sonst nicht unterkommen. Experimentelles Zeug oder Free Jazz. Sachen, die selbst das kleinste Massenpublikum nicht ansprechen. Und man trifft mich natürlich auch viel im Uebel & Gefährlich, weil ich da als Stagehand arbeite.

Als jemand, der beide Seiten kennt: Was macht einen guten Laden aus?

Engler: Loyalität und Entspanntheit von Seiten des Personals – von der Security bis zur Bar. Wenn bei uns eine Band spielt, die ich total furchtbar finde, gehe ich trotzdem unvoreingenommen da ran. Meistens sind die Leute, von denen man es am wenigsten erwartete, die nettesten, freundlichsten und professionellsten. Und je härter die Musik, desto softer die Leute. Die ganzen Metal-Typen möchte man gar nicht mehr gehen lassen, weil sie so nett sind.

Hat sich Hamburgs Clublandschaft in den letzten Jahren verändert?

Jaspersen: Es ist schon krass, wie viel es nicht mehr gibt: Das KDW, die Weltbühne, die Gesellschaft, Golem. Wobei ich nicht sagen würde, dass es heute schlechter ist. In manchen Fällen ist es sicherlich der Stadt zuzuschreiben, aber manchmal haben die Betreiber vielleicht auch einfach keine Lust mehr.
Engler: Dafür gibt es heute auch neue Läden wie die Schute.

Wenn ihr Kultursenator wärt, was würdet ihr in Hamburg ändern?

Jaspersen: Ich hätte die Aufstockung des Bunkers an der Feldstraße nie so durchgewunken. Es scheint mir völlig illusorisch zu sein, dass das funktioniert. Die Leute meckern ja jetzt schon über die Dachkonzerte, wie soll das werden, wenn da Leute wohnen und da ein Hotel ist? Außerdem würde ich die Anzahl der Kioske auf St. Pauli beschränken. Ich frage mich manchmal, was die Politiker auf St. Pauli wollen. Wollen sie, dass da Familien und junge Leute wohnen, oder wollen sie Hotels und Touristen, die billig saufen und ihre Junggesellenabschiede feiern? Wenn man nicht aufpasst, wird aus St. Pauli irgendwann das Leben rausgequetscht.
Engler: Ich finde es für eine Stadt wie Hamburg, die sich das Kulturfähnchen auf den Hut gesteckt hat, echt peinlich, wie schwierig es für Bands ist – egal ob es sie seit ein paar Monaten oder 20 Jahren gibt – einen Proberaum zu haben oder zu halten. Dass man entweder eine Stunde fahren oder in einem vollkommen verschimmelten Loch von der Größe eines Kachelofens sitzen muss. Ich würde als Kultursenator erst mal die Neustadt unterkellern!

Bei welchem Konzert würdet ihr im November gerne auf der Gästeliste stehen?

Jaspersen: Bei Blood Red Shoes am 6. November im Uebel & Gefährlich, bei Trettman am 25. November im Docks, und bei Fettes Brot am 8. November in der Barclaycard Arena. Doktor Renz wohnt hier um die Ecke und ist super nett.
Engler: Ich würde gerne zu The Dead Brothers am 3. November im Molotow, weil das so gute Existenzialisten sind, und zum Caspar Brötzmann Massaker am 5. November im Goldenen Salon, weil man Legenden nicht verpassen sollte.


ZUR BAND
Herrenmagazin wurde Ende 2004 von Sänger Deniz Jaspersen, Schlagzeuger Rasmus Engler und Gitarrist Philip Wildfang gegründet, später stieß Bassist Paul Konopacka dazu. In der Indie-Szene machte die Band sich schnell einen Namen, 2008 erschien ihr Debütalbum „Atzelgift“. Philip Wildfang wurde seitdem durch den ehemaligen „peters.“-Sänger König Wilhelmsburg ersetzt. Nach vier Alben gab die Band 2016 bekannt, für unbestimmte Zeit pausieren zu wollen. Jaspersen hat seitdem einige Solosongs veröffentlicht, Paul Konopacka und König Wilhelmsburg haben die Band Trixsi gegründet.

www.herrenmusik.com


ZUR MUSIK

Elf Jahre ist es her, dass Herrenmagazin ihr Debütalbum „Atzelgift“ veröffentlicht haben: Wunderbarer deutscher Indie-Rock mit leichtem Hang zum Punk. Zur Feier des unrunden Jubiläums wurde das Album von dem Hamburger Label Grand Hotel van Cleef neu aufgelegt, und zwar auf lila Vinyl. Außerdem gehen Herrenmagazin auf „11 Jahre Atzelgift“-Tour und werden das Album in Gänze spielen.


HERRENMAGAZIN live
Datum: 10. November 2019 Ort: Uebel & Gefährlich
Einlass: 20 Uhr Beginn: 21 Uhr
Tickets: 20,50 Euro

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