Clubkombinat Hamburg e.V.

Im Club mit: Anne Löhr (MiM-Verband)

Foto: Anne Löhr I MiM-Verband

DU ARBEITEST ALS PSYCHOLOGIN IM MIM VERBAND. WIE ERLEBST DU DORT DIE DERZEITIGE SITUATION WÄHREND DER CORONA-PANDEMIE?

Wir haben viel zu tun. Und obwohl wir uns schon vor der Pandemie gegründet haben, um für das Thema „mental health“ in der Musikbranche zu sensibilisieren, sind wir natürlich total froh, dass wir gerade jetzt mit unserer Expertise so hilfreich sein können. Wir bekommen viele Anfragen vom Rundfunk, wo wir durch unsere Beiträge eine weite Reichweite haben und sensibilisieren können. Außerdem nehmen immer mehr Vereine, Firmen, Musikhochschulen, und Festivals unser Workshop-Angebot zum besseren psychischen Umgang mit der derzeitigen Krisensituation in Anspruch. Das ist sehr wirksam, weil es ein niedrigschwelliges und nachhaltiges Angebot ist, was auch dazu beiträgt, Vernetzung und Awareness zu fördern. Wir bekommen mit, dass es allgemein viel Interesse am Thema gibt und konkrete Bemühungen, sich dem Thema ernsthaft zu widmen. Nicht nur für sich selbst als Privatperson, sondern auch strukturell. 

WELCHE AUSWIRKUNGEN KANN DIE PANDEMIE AUF DIE PSYCHE HABEN?

Im Rahmen unserer Arbeit schauen wir eher auf die Begleitumstände zur Eindämmung der Pandemie, die Auswirkungen auf unsere psychische Balance haben können. Dadurch, dass es für die Veränderung der Lebensumstände, die wir gerad erleben, keine Erfahrungswerte gibt, erleben viele Menschen Kontrollverlust, Destabilisierung, Wegfall von Strukturen. Die schlechten bzw. wenig vorhersagbaren berufsbezogenen Aussichten bei Musikschaffenden und Veranstaltern führen zu gesteigertem Stress, der durchaus ein Dauerzustand wird. Und das macht sich psychisch u.a. durch Gereiztheit, Niedergeschlagenheit, Motivationsverlust, Ängste, Stimmungsschwankungen, Schlafprobleme und auch Konzentrationsschwierigkeiten bemerkbar. Reaktionen, die manche vielleicht auch in ähnlicher Form von bestimmten Zeiten vor der Pandemie kennen. Die finanziell prekäre Situation oder Stress durch Überforderung bei der Arbeit sind vielen ja nicht unbekannt. Nur dass die derzeitigen Umstände viele Bereiche unseres Lebens gleichzeitig und stärker betreffen und wir wenig Ausgleich finden, beispielsweise durch soziales Miteinander und Unternehmungen, die uns Spaß machen.

WO SIEHST DU FÜR DEINE KLIENT*INNEN, DIE MEHRHEITLICH IN DER MUSIK- UND VERANSTALTUNGSBRANCHE TÄTIG SIND, IM ALLTAG DIE STÄRKSTEN HERAUSFORDERUNGEN?

Die größte Herausforderung zurzeit ist glaube ich die Ungewissheit auszuhalten und damit einhergehend nicht wirklich in die Zukunft planen zu können. Und mit der Enttäuschung umzugehen, dass man mit dem, wofür man lebt, und wofür man mitunter jahrelang widrige berufliche Umstände in Kauf genommen hat, gerade völlig überflüssig scheint. Die Identifikation mit dem Musikmachen bzw. allen beruflichen Zweigen, die damit zusammenhängen, ist in der Branche unglaublich hoch. Dementsprechend brechen gerade nicht nur berufliche Perspektiven weg, sondern ganze Lebensentwürfe in sich zusammen. Es führt bei vielen zu einer ganz neuen Auseinandersetzung mit den eigenen Zielen, was natürlich auch sehr sinnvoll sein kann bzw. können daraus gute Dinge und Entscheidungen hervorgehen.

WIE VERSUCHST DU ZU HELFEN?

Neben der Einzelberatung und Supervision, die ich in meiner Praxis in Berlin anbiete – mittlerweile deutschlandweit auch remote – habe ich mit meinen Kolleg*innen vom MiM-Verband Workshops konzipiert, die thematisch direkt auf die psychischen Probleme der Musikschaffenden und Branchenangehörigen in der derzeitigen Situation eingehen. Wir klären zudem auf, was gerade psychisch bei den Menschen passiert und liefern zusätzlich Anregungen, wie man mehr Psychohygiene bzw. Selbstfürsorge betreiben kann, bzw. die eigene psychische Balance wiederherstellt. Was passiert in meinem Gehirn, wenn ich in einer Krise bin? Welche Stufen durchlaufe ich da psychisch? Was ist genau unter Stress und Belastung zu verstehen und an welcher Stelle spielen hier meine Gedanken eine wichtige Rolle? Wie kann ich Stressreaktionen, Stimmungstiefs und Ängstlichkeit entgegenwirken – kurzfristig wie auch langfristig? Das sind Informationen, die zurzeit jede/r gut gebrauchen kann und die einem ermöglichen, unabhängig von der Situation für mehr Entlastung zu sorgen.

HAST DU TIPPS, WIE MAN SICH IN DIESER ZEIT, IN DER MAN KAUM ANALOG SOZIALE KONTAKTE PFLEGEN KANN, MENTAL STÄRKEN KANN?

Zunächst ist wichtig zu akzeptieren, dass wir bestimmte Dinge gerade nicht ändern können. Ich hoffe es ist den meisten von uns mittlerweile möglich, die Frustration über die allgemeine Lage zu begrenzen. Damit meine ich, ihr nicht mehr Raum und negativen Einfluss auf unser Empfinden zu geben, als unbedingt notwendig. Diese Stufe der Krisenverarbeitung nennt sich entsprechend auch „Akzeptanz“. Wir sollten differenzieren, anstatt, was krisentypisch ist, zu generalisieren und beispielsweise zu denken „ALLES ist schlimm“, „es wird NIE WIEDER gut“. Gebt der Frustration und auch der Sorge einen Platz. Ein paar Minuten, wenige Stunden, aber nicht den ganzen Tag. Unsere Gedanken sind die Haupt-Stress-Auslöser in dieser Zeit. Und unsere Gedanken können wir steuern. Überlegt Euch, was Euch gut tut, kleine wie große Dinge. Setzt den Belastungen, die ihr erlebt, Entlastungen entgegen. Wie bei einer Waage. Fragt Euch, was ihr genau heute tun könnt, damit es ein wenig besser wird. Und bleibt aktiv. So langweilig spazieren gehen auf die Dauer auch sein mag, körperliche Aktivität beeinflusst unsere Stimmung positiv, ohne dass wir drüber nachdenken. Und: Macht Musik. Ohne Ziel. Ohne Bewertung. Nur um ihrer selbst willen. Das ist heilsam. Das ist Eure Wunderwaffe.


ZUR PERSON

Dipl.-Psych. Anne Löhr ist systemische Therapeutin, Supervisorin und Coach. 

Nach Abschluss ihres Studiums widmete sie sich zunächst der klinisch-therapeutischen Arbeit bis sie sich 2015 als psychologische Beraterin und Coach selbständig machte. In ihrer Berliner Praxis berät sie seither Künstler*innen, Bands, Einzelpersonen und Teams der Musik-und Kreativbranche zur psychischen Gesundheit, Konflikt-und Krisenmanagement, Stress und Burnoutprävention, Persönlichkeits- und Teamentwicklung sowie Kommunikation.

Sie ist außerdem als Speakerin und Dozentin aktiv (u.a. für das INSA Berlin, RBF, bmc, Music Pool Berlin, Verein zur Förderung der Popkultur). 2020 gründete sie gemeinsam mit ihren Kolleg*innen Franziska Koletzki-Lauter und Michael Wecker den MiM (Mental Health in Music) Verband, der sich für die Sichtbarmachung, Aufklärung und Verbesserung der psychischen Gesundheit in der Musikbranche einsetzt. Als Musikerin ist sie außerdem Mitglied diverser female-in-music Netzwerke (Raketerei, V-Breakfast, MusicCoWomen).

www.anneloehr.de


ZUM MiM-VERBAND

Der MiM (Mental Health in Music) Verband zur Förderung der mentalen Gesundheit in der Musikbranche ist die zentrale Anlaufstelle für alle Personen aus der Musikbranche und Kreativwirtschaft mit einem Interesse am Thema Mental Health. Er wurde Anfang 2020 von den Psycholog*innen und Musiker*innen Anne Löhr, Michael Wecker und Franziska Koletzki-Lauter gegründet.

Ziel des Verbandes ist es, zu informieren, zu sensibilisieren und alle Akteur*innen der Branche in Deutschland bestmöglich und zentral zu beraten. Neben psychologischer Einzel- und Teamberatung und dem Engagement als Speaker*innen, umfasst das Angebot des Verbandes Workshops und Seminare rund um das Thema mentale Gesundheit, wie beispielsweise zum derzeitigen Krisenmanagement, sowie Angst- und Stressbewältigung.

Durch die enge Vernetzung und Kooperation mit weiteren Vereinen, Initiativen, Festivals und Musikhochschulen (u.a. Verein zur Förderung der Popkultur, RBF, ESNS, Bundesjazzorchester, Hochschule für Musik und Tanz Köln, Music Pool Berlin, Berlin Music Commission, IHM) erleichtert der MiM außerdem die Zugänge zu Hilfs- und Aufklärungsangeboten.

Alle Infos unter: www.mim-verband.de

Ein Kommentar zu “Im Club mit: Anne Löhr (MiM-Verband)

  1. Niels

    Empfehlung (m)einer Lösung für die paar wenigen unter uns, die halt wieder in der Minderheit sind, weil sie der „Normalstatistik“ nicht entsprechen (auf die die aktuellen Regularien ausgerichtet werden nach dem Prinzip Gießkanne):
    Krank werden ohne Attest oder mit Fake-Symptomen, da kein Arzt derzeit noch nicht so weit ausgebildet ist, dass er/sie/es psychische Symptome dieser Krise klar deuten/erkennen kann.

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