Der Verlust kultureller Vielfalt gefährdet die Demokratie – Statement zur aktuellen Lage 

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Statement des Vorstands vom Clubkombinat Hamburg zur aktuellen Lage im November Lockdown.

Es war absehbar, dass der Winter 2020 hart werden und sinkende Temperaturen die Virus-Ausbreitung begünstigen würde. Dass seit dem 02. November erneut kurzfristig große Teile des gesellschaftlichen Lebens eingeschränkt werden, um Personenkontakte zu minimieren, trifft die Live-Kultur und deren Begegnungsorte jedoch erneut heftig. Diejenigen, die sich trotz widriger Umstände und fernab jeglicher wirtschaftlicher Vernunft größte Mühe für die Aufrechterhaltung von Kultur-Veranstaltungen unter Pandemiebedingungen eingesetzt haben, stehen erneut vor einem Scherbenhaufen. Die Branche hatte sich eingestellt und engagiert – beispielsweise mit Konzerten mit festen Sitzplätzen an frischer Luft oder in stetig gefilterter Raumluft, Abstands- und Hygieneregeln und Personenkontaktverfolgung. Doch trotz aller Investitionen und Bemühungen heißt es nun wieder: vorerst geschlossen.

Für den Großteil der Branche, die sich seit acht Monaten im Lockdown befindet und staatlich verordnet zur Untätigkeit gezwungen wird, ändert sich vorerst nicht viel an der weiterhin bestehenden Misere. 

Um Missverständnissen vorzubeugen: Für das Clubkombinat steht der Gesundheitsschutz für die Bevölkerung an oberster Stelle. Über die Verhältnismäßigkeit und Wirksamkeit der Maßnahmen wird aber noch zu reden sein. Die Gefahr, dass sich Infektionsherde mit dem aktuell eingeschlagenen Weg weiter in das unkontrollierbare Privatumfeld verlagern, erscheint groß. Unverständliche Regelungen gefährden die gesellschaftliche Akzeptanz und somit die Durchsetzungsfähigkeit von notwendigen Einschränkungsmaßnahmen enorm. 

Auch die Begründungen und der generelle Umgang mit der Wertschätzung von Kunst und Kultur und deren Akteur:innen wirft viele Fragen auf. In diesen Zeiten muss nun auch die sogenannte „Hochkultur“ erfahren, wie es sich anfühlt, wenn die gesellschaftliche Bedeutung des eigenen Wirkens als „Freizeitgestaltung“ abgestempelt und auf eine Stufe mit Spielhallen und Bordellen gestellt wird. Für uns Musikclubs ist diese Form der Stigmatisierung leider (unter anderem gemäß der Baunutzungsverordnung) schon lange bittere Realität. Wenn sich nun ein Kultursenator über den unterschiedlichen Umgang seines Senats mit Kirche und Kultur echauffiert, herrscht oberste Alarmstufe und akuter Handlungsbedarf.  

Menschen suchen und benötigen als soziale Wesen den Austausch mit anderen. Über die Systemrelevanz von Kunst und Kultur wurde bereits viel geschrieben. Aus unserer Sicht ist dieser Tage die Relevanz von derartigen Begegnungsorten für die Demokratie besonders zu betonen, da sie der sozialen Isolation und der Gefahr des Auseinanderdriftens unserer Gesellschaft entgegenwirken. Die gesellschaftlichen Langzeitfolgen dieser Krise der Kultur- und Veranstaltungsbranche sind kaum absehbar.  

In Hamburg erkennt der Senat die Förderfähigkeit von Musikclubs an und spannt seit April einen Club-Rettungsschirm. Aktuell werden darüber die Fixkosten von knapp 50 Musikclubs gedeckt und somit versucht, diese Spielstätten bis zum Ende der Pandemie finanziell abzusichern. Das ist großartig und vorbildhaft für andere Länder und Kommunen. Doch weite Teile des Ökosystems der Kultur- und Veranstaltungsbranche sind noch im freien Fall – angefangen bei den Künstler:innen, Agenturen, Dienstleister:innen. Viele davon sind als Solo-Selbstständige tätig.

Das ohnehin bestehende Prekariat des Kultursektors – welches auch häufig durch unkonventionelle Organisations-/Unternehmensstrukturen bedingt wird – fällt bislang durch die staatlichen Förderraster. Über eine Million Solo-Selbstständige werden seit Monaten komplett alleine gelassen. Dass bislang nur betriebliche Fixkosten, jedoch keine Lebenskosten für Solo-Selbstständige übernommen werden, ist eine Farce. Wo bleiben Lösungen wie ein Unternehmerlohn, der auch Clubbetreiber:innen bei ihren Rettungsaktivitäten und Neustartplanungen helfen würde? 

Keine andere Branche leidet so massiv unter den Bedingungen, wie sie die Corona-Pandemie erzeugt. Verweise auf die Branchengröße als sechstgrößter Wirtschaftszweig Deutschlands mit 130 Mrd. € Umsatz und 1 Million (!) Arbeitsplätzen führen bislang zu keinem Ergebnis.  

Wächst das Loch im engen Geflecht des Kultur- und Veranstaltungssektors weiter, wird es kaum mehr schnell zu flicken sein. Die Infrastruktur der Branche ist in ihren Grundzügen angegriffen. Auch wenn 2021 wieder Lockerungen möglich sein sollten, werden viele Dienstleister:innen bereits insolvent oder abgewandert sein. Es zeichnet sich bereits jetzt ab, dass sich die finanzielle Erschwinglich- und Zugänglichkeit für kulturelle Veranstaltungen durch deutliche Kostensteigerungen verändern wird. Auch die angekündigten 75% Novemberhilfen können die Einnahmeverluste von März bis Oktober nicht kompensieren.  

Jetzt unbürokratisch und wirksam zu helfen, ist für alle Beteiligten die bessere und kostengünstigere Lösung. Warum werden ins Kanzleramt nach wie vor nur die Spitzenverbände von Arbeitgeber:innen und Industrie eingeladen und kein/e Vertreter:in des Aktionsbündnisses AlarmstufeRot? Es bedarf jetzt passgenauer Rettungspakete für die Kultur- und Veranstaltungsbranche.  

Auch wenn es bei den aktuellen Infektionszahlen derzeit noch weit weg scheint: Irgendwann werden Lockerungen möglich sein. Wir können und wollen als Kulturschaffende Teil der Problemlösung sein und nicht wie zuletzt überwiegend im medialen Diskus als Problemherd angesehen werden. Sitzkonzerte mit 50 statt dicht gedrängten 500 Menschen, schnelle Testungen vor Clubbesuchen, Nachverfolgbarkeit durch lückenlose Registrierung – die Branche steht als Problemlöser bereit. Für derartige Zukunftsperspektiven und Exit-Strategien bedarf es jetzt neuer Dialogbereitschaft in der Politik.  

Wie können wir mit gesellschaftlicher Solidarität gemeinsam durch die Krise kommen? Wie können wir, beispielsweise durch Testungen, gemeinsame Erlebnisse ermöglichen und den Zusammenhalt stärken? Wie können wir Systeme aufbauen, die den Gesundheitsämtern die Arbeit erleichtern?  

Liebe Entscheidungsträger:innen,
die Situation verlangt dringend nach neuen Lösungs- und Handlungsansätzen. Wir stehen bereit, um diese Aufgaben in gemeinsamen Gesprächen mit Ihnen anzugehen.

Hamburg, im November 2020 

gez. Vorstand Clubkombinat Hamburg e.V.

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