Club-Bilanz 2022/2023

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Die Club-Bilanz für die Jahre 2022/2023 steht voll und ganz im Zeichen der Post-Corona-Phase. Mit Blick auf den Vergleichszeitraum 2020/2021 (-3) weist die Bilanz für die Jahre 2022/2023 insgesamt einen Verlust von sechs weiteren Musikbühnen in Hamburg aus. Die Anzahl der Neugründungen ist seit der letzten Erfassung weiter gesunken und erreicht in dieser Bilanz mit einem Nullwert einen absoluten Tiefpunkt.

In die Betrachtung der Entwicklungen der Musikspielstätten in Hamburg fließen Schließungen sowie Neugründungen ein und sie verzeichnet ebenfalls Namens- bzw. Betreiberwechsel. Da in dem Erhebungszeitraum vielfältig staatliche verordnete Programmpausen vorlagen wird diese Form der temporären Schließung in dieser Bilanzierung nicht gesondert vorgenommen.

Seit dem Start der Erhebung im Jahr 2014 verzeichnet die Gesamtbilanz aktuell einen Verlust von insgesamt dreizehn Musikspielstätten (indoor). Bei geschätzten 120 Musikspielstätten ist dies innerhalb von zehn Jahren ein Rückgang von rund elf Prozent.

Seit dem Beginn der Erhebung mussten diese Musikspielstätten ihre Türen schließen:

Cobra Bar, Hasenschaukel, Kraniche, Wasserschaden, Music Club Live, Villa Nova, Kurhotel, klubsen, Zwick Altona, Fat Lenny´s, Golem, Kleiner Donner, Rock Café St. Pauli, Helter Skelter, Fitzgerald, Moin, BarRock, Kogge, Lüttje Lüüd, Good Old Days, Moloch/Anderswelt, Landgang, Tisch und Stuhl, Mobile Blues Club, Souledge, Kulturwerkstatt Hamburg, Terrace Hill, Turtur, Daniela Bar, Yoko, Downtown Bluesclub, Club!Heim


Thore Debor, Geschäftsführer Clubkombinat Hamburg e.V. bilanziert: „Mit der Club-Bilanz 2022/2023 müssen wir leider feststellen, dass sich der Negativtrend der letzten Jahre fortsetzt. Wenn wir die Clubkultur in Hamburg stützen und erhalten wollen gilt es, sich vermehrt um den Erhalt der infrastrukturellen Substanz zu bemühen. Zudem gilt es Neugründungen zu forcieren und dafür strategisch eine kultur-integrierte Stadtentwicklung zu implementieren und auch die weiteren Rahmenbedingungen für Livemusik zu optimieren.“

Frühestens Ende 2024/Anfang 2025 wird eine finale Coronabilanz gezogen werden können. Zum einen wurden die Fristen für Schlussabrechnungen der Überbrückungs-, November- und Dezemberhilfen im August 2023 bis zum 31. März 2024 verlängert. Klarheiten über etwaige Rückforderungen werden daher erst gegen Ende 2024 erwartet. Zum anderen wird sich erst im Herbst 2024 zeigen, wie viele Reserven vor dem Sommer 2024 mit der schwächsten Clubsaison des Jahres vorhanden waren, um die Clubbetriebe wirtschaftlich fortzuführen. Gegenwärtige Signale lassen eine Club-Schließungswelle befürchten.

Hintergrund zur Erhebung:

Bei fast jeder Clubschließung oder Unterbrechung grassiert schnell der Begriff “Clubsterben” durch die Presse. Für einen möglichst faktenbasierten Diskurs erhebt das Clubkombinat Hamburg seit 2014 kontinuierlich die Entwicklungen in der Hamburger Clublandschaft (siehe auch Pressemeldungen) und zieht alle 24 Monate ein Fazit.

Diese Form der Bilanzierung bildet jedoch nur einen Ausschnitt der Szenerie ab. Die enorme Anzahl an Musikclubs sowie die Vitalität der Aktivitäten in dieser Szene lassen sich nur äußerst schwierig in ihrer Gesamtheit erfassen. Die Ausführungen konzentrieren sich auf die wichtigsten Ereignisse der Clubszene und erheben keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. In der Erhebung werden keine Open Air Veranstaltungsflächen erfasst.

I. Problemlagen, die die Clubszene 2022/2023 bewältigen musste

Anfang 2022 hatte Corona die Clubszene noch fest im Griff. Mitte Februar wurde bekannt, dass Musikclubs in einem zweiten Öffnungsschritt ab dem 04. März 2022 für Genesene und Geimpfte mit tagesaktuellem Test oder mit dritter Impfung (2G-Plus) geöffnet werden konnten. Damit war in Clubs das Tanzen wieder ohne Maske erlaubt. Allerdings blieben Clubs, Diskotheken und Co die einzigen Orte, an denen die 2G-Plus-Regel noch Bestand hatte. Zumindest bis zur nächsten Lockerungsrunde. In einem dritten Schritt sollten ab dem 20. März „alle tiefgreifenderen Schutzmaßnahmen“ entfallen. Der Termin 20. März ergab sich aus dem Infektionsschutzgesetz: Denn die Regelung erlaubten die Schutzmaßnahmen nur befristet bis zum 19. März. Bund und Länder wollten das Gesetz auf einen „Basisschutz“ reduzieren und um weitere drei Monate verlängern.

Relativ kurzfristig am 15. März hatte der Hamburger Senat dann angekündigt, von der sogenannten Übergangfrist des Bundes Gebrauch zu machen und zunächst ab 20. März keine größeren Lockerungen umzusetzen. So blieben zunächst alle geltenden Regeln, mit wenigen Ausnahme in der Hansestadt bestehen. Erst am 02. April 2022 musste sich auch Hamburg dann an das neue Infektionsschutzgesetz halten und verschleppte damit einen weitgehenden Neustart der Branche.

Mit Blick auf den Herbst/Winter 2022 bestand lange Zeit keine Planungssicherheiten. Das neue Infektionsschutzgesetz wurde im September vom Bundestag und Bundesrat mit Wirkung zum 01. Oktober verabschiedet. Es beinhaltete einen Maßnahmenkatalog für die Bundesländer, die die Veranstaltungsbetriebe derart einschränken konnten, dass diese nicht mehr oder nur eingeschränkt betriebswirtschaftlich sind. Für das Tourneewesen drohte erneut ein Flickenteppich, der zusätzlich die Planungen behinderte.

Die letzten Corona-Hilfsprogramme (u.a. Neustart Kultur) endeten im Juni 2023. In Hamburg wurde Ende 2022 noch eine Wirtschaftlichkeitshilfe (bis Ende 2023) aufgesetzt, die jedoch so konzipiert war, dass diese nur für wenige Clubs ein relevantes Förderinstrument darstellte.

Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verschärfte ab Februar 2022 eine massive Explosion der Energiekosten die existenzielle Notlage und wirkt sich direkt und zusätzlich indirekt über die Kaufzurückhaltung für Konzerttickets auch für Musikclubs und Veranstalter:innen aus.

Die Branche verzeichnete nach Ende der Corona-Pandemie ein geändertes Besucher:innen-Verhalten: Viele Konzerte mussten mangels Besucherzuspruch im Vorfeld kurzfristig abgesagt werden. Veranstaltungsplanungen wurden damit entsprechend noch vakanter. Etliche Medienberichte u.a. in ARTE-Tracks und Deutschlandfunk Kultur bestätigten diese Beobachtungen.

Zugleich war durch die vielen abgesagten Corona-Veranstaltungen und Neuproduktionen ab Sommer 2022 bis weit in das Jahr 2023 eine Veranstaltungsschwemme zu verzeichnen, die eine Konkurrenz bei Terminen und Gästen, sowie den inzwischen grassierenden (Fach)Personalmangel offenbarte.

Im November 2022 formulierte das Clubkombinat seine Enttäuschung über das Ende von Neustart Kultur. Eine LiveKomm-Forderung für den Bundeshaushalt 2023 appellierte eine Fortführung dieses Erfolgsprogramms in Höhe von jährlich 35 Mio. Euro, die in den Haushaltsberatungen keine Berücksichtigung fanden. Stattdessen wurden 100 Mio. Euro für den Kulturpass und ein Festival-Förder-Fonds (5 Mio. Euro) aufgesetzt.

An Ostern 2023 folgte eine Überraschung: Erstmals nach Ende der Zeiten von Ronald Schill als Innensenator kontrollierte Polizei die Einhaltung der Tanzverbot-Regelungen an Karfreitag. Trotz politischer Ankündigungen erfolgten bis Januar 2024 keine gesetzlichen Anpassungen. Die Programmplanungen für Konzerte und Parties an zwei Tagen um Ostern 2024 erleichtert dieses Vorgehen nicht.

II. Strukturelle Lösungsansätze als Hoffnungsschimmer

Im März 2022 erfolgte die Erstunterzeichnung des Code of Conduct „Zukunft feiern“ mit sechzehn Clubbetreiber:innen und Veranstalter:innen. Damit setzte das Clubkombinat einen Prozess für eine ökologische Zukunft der Hamburger Club- und Kulturszene in Gang.

Das Manifest #wirbrauchenräume wurde im Mai 2022 veröffentlicht, das als gebündelter Appell zur Bewältigung der Raumbedarfe für kulturelle und kreative Akteure fungiert – u.a. konnte damit im Februar 2023 eineöffentliche Anhörung im Kulturausschuss der Bürgerschaft erwirkt werden, die die akuten Problemlagen eindrucksvoll untermauerte.

Im September 2022 formulierte das Clubkombinat unter dem Claim „The show must go on“ einen Forderungskatalog, der die dringlichen Bedarfe in einem 10-Punkte-Sofortprogramm artikuliert.

2022 erfolgte eine Überarbeitung der Fachanweisung Stellplatzabgabe, die die Nachweispflicht von Livemusikclubs auf 1 Kfz-Parkplatz je 80 Besucher, jedoch mindestens 1 pro Musikclub teilweise reduzierte.

Im November 2022 beschloss die Bürgerschaft für die Doppel-Haushalt 2023/2024 die Mittelfreigabe für einen Future Fonds. Damit wurde ein Stipendienprogrammstart im Mai 2023 und die Einrichtung einer Koordinationsstelle ermöglicht.

Dank einer Förderung durch die Hamburger Klimaschutzstiftung im Fonds #moinzukunft und einer Co-Finanzierung der Behörde für Kultur und Medien, sowie der Clubstiftung konnten im Jahr 2023 15 Energieberatungen in Musikclubs durchgeführt werden, die beeindruckende Zahlen erhob.

Mittels einer gebündelten Zusammenlegung und Abwicklung für die Jahre 2022/2023 konnte im Live Concert Account eine Doppel-Förderung erfolgen, die im Herbst 2023 Ausschüttungen und akute Finanznöte abmilderte.

Die Clubstiftung frischte dank Mittel aus den FairTix-Spenden den Fonds für Rechtsberatungsgutscheine für juristische Erstberatungen auf.

Auf Bundesebene war der Programmstart Live 500 im Sommer 2023 ein wichtiges Signal, dass der Bund sich künftig weiterhin für den musikalischen Nachwuchs und dessen Bühnenauftritte engagiert.

Die Allianz #clubsAREculture konnte dank einer Infrastrukturförderung der Initiative Musik verstärkte Öffentlichkeitsarbeit betreiben, um die Kampagne zur Sichtbarkeit für Maßnahmen zur Rettung der Clubs zu befördern.

Das Clubkombinat erhielt auf Antrag bei der Initiative Musik den Zuschlag für das Bundesprojekt „to be aware“, das sich dem Thema Awareness im Clubwesen widmet.

III. Ein Streifzug durch die Hamburger Clublandschaft – Was hat sich 2022/2023 konkret verändert?

Hier werden die oben skizzierten Schließungen ausführlicher beleuchtet:

Terrace Hill

Im Zuge der Umbauten des Hochbunkers an der Feldstraße kam es, entgegen allen Versprechen von Behörden und Investoren, zu massiven Beeinträchtigungen für alle Mieterparteien bis hin zur Unmöglichkeit der Umsetzung für Veranstaltungen aller Art im Terrace Hill. Die baulichen Veränderungen am Bunker mit der Errichtung eines Fahrstuhlzugangs mitten auf der „Terrace“ vom Terrace Hill setzten der Situation die Krone auf. Ihrem Markenzeichen, Alleinstellungsmerkmal und Publikumsmagneten beraubt, waren den Betreibenden die Grundlagen der Fortführung des Standortes als Spielstätte entzogen worden.

Turtur

Die Betreiberin der, um eine Live-Bühne erweiterte, Pizzeria in Wilhelmsburg hatte nach diversen Lockdowns und G-Modellen die Nase voll und konzentriert sich in ihrem Angebot wieder auf die kulinarischen Leckereien. Das ist im Kern sehr schade, denn die 3-Sterne Kombination aus Musik – Party – Pizza, ofenfrisch auf die Hand, erschlossen sich vielen Menschen und genoss eine hohe Beliebtheit – insbesondere im Reiherstiegviertel.

Daniela Bar

Nach 30 Jahren Betrieb mitten auf dem Schulterblatt arbeiteten die beiden Betreiberinnen am Ende der Lockdowns, Abstandregeln und aufgebrauchten Rücklagen im Kern nur noch dafür dem Vermieter der Location seine Miete überweisen zu können. Dieser hatte sich, wie so viele, trotz behördlich veranlasster Lockdowns vollkommen verständnislos gezeigt und weiter stur auf seine Mieteinnahmen gepocht. Frustrierte Aufgabe einer Institution und einem Standort der seit Mitte der 70er schon unter anderen Namen dort existierte.

https://www.abendblatt.de/hamburg/article234923245/abschied-daniela-bar-hamburg-schanze-schulterblatt-kultkneipe-schliesst.html

YOKO

Nach mehreren Lautstärkebeschwerden durch Nachbar:innen die den neuen Geschäftsführer nach der Übernahme der Räume erreichten, stellte die Baubehörde fest, dass für das YOKO lediglich eine Genehmigung für einen Restaurantbetrieb vorlag. Da dem neuen Betreiber die Räumlichkeiten laut Mietvertrag aber als Diskothek übergeben wurden, liegt die Sache nun zur Klärung vor Gericht und die Spielstätte bzw. der Spielort im Valentinskamp brach.

Downtown Bluesclub

Nach der Insolvenz der Betreibergesellschaft und der Übernahme des Landhaus Walter durch einen neuen Pächter ist in der Ausrichtung der Location im Stadtpark kein Live-Musikprogramm konzeptionell vorgesehen und damit als Live-Spielstätte verschwunden. Der ehemalige Betreiber ist nun als Veranstalter in wechselnden Locations in und außerhalb Hamburgs tätig.

Club!Heim

Den Betreiber des mitten im Schanzenpark liegendem Club!Heim wurde der Mietvertrag nicht verlängert. Eine Begründung liegt nicht vor. Wir bedauern das Ende einer Kleinkunst-Spielstätte nach 10 Jahren.

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