Im Club mit: Selig


Euer neues Album trägt den Titel „Kashmir Karma“. Glaubst du an Karma?

Jan Plewka: Schon, ich finde das ist eine gute Art, das Leben zu sehen.

Gibt es Momente, in denen du das konkret zu spüren bekommen hast?

Da gibt es so viele Geschichten. Neulich war ich in Stuttgart. Wir hatten eine Show gespielt und am nächsten Tag fuhr ich mit dem Zug weiter. Ich kaufte mir eine Fahrtkarte und sprang in den Zug. Dort stellte ich fest, dass ich meine EC-Karte im Automaten vergessen hatte. Es gibt am Stuttgarter Hauptbahnhof etliche Fahrtkartenautomaten, aber eine halbe Stunde später kam der Besitzer des Clubs, in dem wir gespielt hatten, an genau den Automaten und fand meine Karte. Wenn man Augen für solche Momente hat, gleicht das Leben echt einer karmischen Lebensperlenkette.

Kashmir Karma war für zwei Wochen auch euer Bandname, vor Selig. Wie fing damals alles an?

Wir waren damals sehr auf diesen Repro-Sound fixiert: The Black Crowes, Led Zeppelin, die alten Sachen von Lenny Kravitz. Wir trugen Schlaghosen und lange Haare – wie man halt so rumlief, kurz vor Grunge. Wir hatten auch immer Räucherstäbchen an, Opium-flavoured. Kashmir Karma erschien uns ein guter Name, weil er so hippiesk ist. Aber dann kam jemand mit Selig, das war noch besser.

Schon ab deinem neunten Lebensjahr hast du Musik gemacht. Kannst du dich an deinen ersten Club- oder Konzertbesuch erinnern?

Das war Depeche Mode in der Sporthalle. Ich war ungefähr zwölf und stand ganz vorne, in der zweiten Reihe. Irgendwann kam ein Typ auf die Bühne und sang zu Elektro-Musik. Ich war total begeistert, aber enttäuscht von den anderen Gästen, die sich weder bewegt, noch geklatscht haben. So einen Konzertbesuch hatte ich mir anders vorgestellt. Der Typ verschwand dann, ich dachte noch „das war aber kurz“ – und dann ging der Vorhang auf und Depeche Mode kamen (lacht). Da sind dann alle durchgedreht! Das war ein tolles Erlebnis.

Du bist in Ahrensburg aufgewachsen. Mit welchen Hamburger Läden verbindest du die meisten Erinnerungen?

Los ging es bei mir mit dem Madhouse und dem FRONT. Im FRONT ging es wirklich ab. Die Lautstärke war extrem und die Leute alle wahnsinnig crazy und ausgeflippt. Es fühlte sich an wie ein gesetzfreier Raum. Ich weiß noch, wie ich dachte: Jetzt bin ich in der Clubszene angekommen. Mit Selig waren wir dann immer im Mojo Club, im Soul Kitchen und im Baton Rouge. Ins Baton Rouge gingen wir zum Vorglühen – das war ein Ex-Puff mit Séparées und so, das Licht war schummrig und es lief Soul. Von da ging es dann weiter.

Und dann morgens mit dem ersten Zug zurück nach Ahrensburg?

Es ist teilweise sogar passiert, dass ich in der U-Bahn eingeschlafen bin, wenn ich morgens um fünf oder sechs aus dem Madhouse kam, und dann um neun Uhr in Niendorf aufgewacht bin! (Lacht)

Wo trifft man dich heute?

Ich gehe gerne auf Konzerte im Uebel & Gefährlich oder im Knust, im Molotow habe ich neulich auch einen lustigen Abend erlebt, und ich bin froh, dass der Pudel wieder aufgemacht hat. Ich bin auch wirklich tanzfreudig – auf Kampnagel zum Beispiel habe ich schon die eine oder andere Nacht durchgetanzt. Ansonsten geht man in meinem Alter ja gerne in Restaurants oder Bars. In der Koralle auf dem Kiez kann man nachts toll am Tresen sitzen und die anderen Gestalten beobachten.

Was reizt dich noch an Konzerten und neuen Bands?

Der Rausch. Wenn wirklich gute Musik läuft und alle auf dieser Welle schwimmen, ist das ja wie ein großer, kollektiver Rausch. Ich finde es auch spannend, sich Akkorde oder Sounds von anderen Bands abgucken. Zu beobachten, wie die ticken und in welche Welt sie uns mitnehmen wollen.

Was macht einen guten Club aus?

Ein guter Sound, der laut ist, aber trotzdem die Seele berührt. Das Licht muss stimmen – ich bin kein Befürworter von diesen Neon-Läden. Mir gefällt es, wenn es bröckelt und etwas morbide ist. Und obwohl ich kein Raucher bin, finde ich es super, wenn geraucht werden darf. Diese Raucherkabinen… ich weiß nicht, ob ich mich daran gewöhnen kann, dass da plötzlich solche Bushaltestellen mitten im Club stehen.

Hat sich die Hamburger Clublandschaft in deinen Augen verändert?

Mir fehlt diese Ex-Puff-Gemütlichkeit, die es mal gab. Ich sehne mich nach dem alten Mojo Club, wo man echt tanzen konnte, nach diesen Plüsch-Läden von damals, und nach diesen warmen Retro-Sounds. Ich bin da nostalgisch und finde, davon könnte es wieder mehr geben.

Mal angenommen du wärst Kultursenator, was würdest du ändern?

Wenn ich Kultursenator wäre, wäre jeden Tag Reeperbahn Festival. Durchgehend, 24 Stunden am Tag, überall in der Stadt, auch in Barmbek. Beim Reeperbahn Festival ist wirklich was los, da kann man sich morgens bis abends dem Rausch hingeben, den ich eingangs beschrieben habe.

Mit Selig habt ihr dieses Jahr 25-jähriges Bandjubiläum. Wenn ihr eine große Party geben würdet, wo würde die stattfinden und wen würdet ihr einladen?

Wir würden im Grünspan feiern. Blur würden einen Geheimgig spielen und die ganzen coolen Lieder aus den Neunzigern spielen. Wir würden dann mit ihnen jammen und tun so, als wäre es damals.

Erstmal steht im April eure Show im Docks an. Welche eurer bisherigen Hamburg-Shows wirst du nicht vergessen?

Immer, wenn wir mit Selig in den Mojo Club gingen und danach den Kiez runtergingen, um noch etwas zu essen, kamen wir am Docks vorbei. Ich habe immer gedacht: Eines Tages spielen wir hier mal – und irgendwann ist es dann wirklich passiert. In den Neunzigern haben wir dort zwei Abende hintereinander gespielt. Ich habe das so abgefeiert, dass ich mir extra ein Zimmer im Hotel Monopol gegenüber genommen habe, mit Blick auf das Docks. Das war ein besonderer Moment.

Bei welchem Konzert würdest du im April gerne auf der Gästeliste stehen?

Bei Lily Allen am 5. April im Knust, bei Wolfgang Müller am 7. April im Nochtspeicher, bei Isolation Berlin am 12. April im Uebel & Gefährlich und bei Erdmöbel am 26.4. in der Fabrik.

Hast du noch ein letztes Wort an die Hamburger Clubgänger?

Geht aus, es lohnt sich!+


ZUR BAND

Als Jan Plewka, Christian Neander, Leo Schmidthals, Stephan Eggert und Malte Neumann Selig Mitte der Neunziger gründeten, ging alles ganz schnell: Ihr mit Franz Plasa aufgenommenes Debütalbum wurde zum sofort Erfolg, Selig spielten ausverkaufte Shows und galten als große Hoffnung des deutschen Rock. Nach drei Alben und fünf Jahren waren sie so ausgebrannt, dass sie sich auflösten. Jan Plewka gründete später die Bands Zinoba und TempEau. 2008 gaben Selig schließlich ihr Comeback bekannt. Seit ihrer Wiedervereinigung haben sie vier Alben veröffentlicht. Ihr letztes Album „Kashmir Karma“ erreichte Platz 19 der Charts.


ZUR MUSIK

Nach dem Ausstieg von Keyboarder Malte Neumann im Jahr 2014 waren Selig zunächst unsicher, wie es für sie weitergehen soll. Sie zogen sich daraufhin in eine Holzhütte bei Stockholm zurück und fanden dort zu alter Spielfreude zurück: Ihr siebtes Album „Kashmir Karma“ klingt rau und unbehauen. Die Bandbreite reicht vom psychedelischen Eröffnungsstück „Unsterblich“ über Krautrock-Klänge („DJ“) und schleppenden Blues („Unterwegs“) bis hin zu Beatles-artigen Chören und Hendrix-Rock – stets gekrönt von Jan Plewkas rauer Stimme.


SELIG live

Datum: 22. April 2018 Ort: Docks

Einlass: 19.00 Uhr Beginn: 20.00 Uhr

Tickets: 34,45 Euro

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